Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen
beschrieben, der in der Metro Frauen belästigt, aber genausogut paßt ihre Beschreibung auf einen ganz anderen Mann. Er hat etwa dieselbe Größe und dasselbe Alter und trug ebenfalls einen braunen Regenmantel. Nur ist dieser Mann nicht mager, wie derjenige, der Dascha belästigt hat, sondern korpulent. Das ist der einzige Unterschied. Und da ist noch die Hand in der Manteltasche. Da stimmt irgend etwas nicht. Darüber muß man noch nachdenken. Aber wie dem auch sei. Nachdem Dascha diese Notiz geschrieben hatte, war sie sofort in Gefahr. Sie ist in das Visier von Leuten geraten, die ganz offensichtlich irgendwelchen dunklen Geschäften nachgehen und nicht entdeckt werden wollen. Mein Gott, das arme Mädchen. Bereits seit drei Wochen verfolgen sie sie auf Schritt und Tritt, überprüfen auf höchst eigenwillige Weise alle ihre Kontakte, indem sie den Leuten, mit denen sie zusammenkommt, die Papiere rauben. Es ist ein Wunder, daß sie ihr bis jetzt keinen weiteren Schaden zugefügt haben. Wenn Dascha nur in die Nähe eines Milizgebäudes kommt, ist das ihr Ende.
»Gehen wir davon aus, daß Sie mir keinerlei Fragen gestellt haben«, sagte Nastja trocken zu dem jungen, eifrigen Beamten. »Und es gibt überhaupt kein Mädchen, das irgend etwas will oder nicht will. Es gibt nur eine operative Information, die Sie der guten alten Tante Anastasija verdanken. Ich verfolge meine eigenen Ziele und werde den Mord an Maluschkin wahrscheinlich schneller aufklären als Sie. Aber ich trete nicht in Konkurrenz zu Ihnen, mein Herr, deshalb werde ich Sie sofort benachrichtigen, wenn ich etwas Neues erfahre. Unter der Bedingung, daß Sie mir nie wieder dumme Fragen stellen.«
»Warum nennen Sie meine Fragen dumm?« erkundigte sich das Bürschlein gekränkt.
»Weil Sie keine Ahnung haben, wieviel Mühe, Geduld, Talent und Zeit es kostet, ein halbwegs funktionierendes Informantennetz aufzubauen. Ein guter Informant ist wertvoller als Platin. Hätten Sie einen solchen Informanten, würden Sie sich lieber den Kopf abschlagen lassen, als seine Identität preiszugeben, nur weil irgend jemand von ihm eine Aussage bekommen möchte. Sehen Sie zu, wie Sie allein klarkommen. Alles, was Sie brauchen, steht in der Mitteilung.«
Nastja verließ das Revier und ging langsam zu ihrer Dienststelle. Beim Bereitschaftsdienst ließ sie sich das Tagebuch geben und begann, Auszüge zu machen. Wenn Dascha für diese Leute so gefährlich war, daß sie bis zum Mord an einem Milizionär gingen, um an Daschas Notiz heranzukommen, war dann nicht zwangsläufig auch der Psychopath in ihr Blickfeld geraten, der sich Dascha in der Metro genähert hatte?
Nachdem Nastja die Daten aller Mordopfer notiert hatte, die seit dem 29. September entdeckt worden waren, begann sie zu überlegen, wie sie so schnell wie möglich und ohne große Umwege an die Fotografien der Ermordeten kommen konnte. Nach einer Weile wurde ihr klar, daß sie zu ihrem Chef gehen mußte.
Viktor Alexejewitsch Gordejew hatte sich, wie gewöhnlich, nicht die Zeit genommen, seine Angina im Bett auszukurieren. Die Folge war, daß er keine Stimme mehr hatte und mit seinen Untergebenen mit Hilfe von Mimik, Gestik, Papier und Kugelschreiber kommunizierte. In seinem Büro saß ein Mädchen aus dem Sekretariat, das die Telefongespräche für ihn führen mußte.
Er begrüßte Nastja mit einer freundlichen Geste und einem fragenden Blick. Dann sah er zu der Telefondame hinüber. Nastja nickte unauffällig. Der Oberst kritzelte sofort ein paar Worte aufs Papier und hielt den Zettel dem Mädchen unter die Nase. Sie las ihn und sprang freudig von ihrem Platz auf.
»Rufen Sie mich an, wenn Sie mich wieder brauchen«, zwitscherte sie und eilte davon.
»Viktor Alexejewitsch, ich habe einen Anhaltspunkt in der Mordsache Maluschkin. Das ist der Milizionär, der Ende September auf der Taganka ermordet wurde. Erinnern Sie sich?«
Knüppelchen nickte wortlos.
»Gleichzeitig hat sich in der Angelegenheit, in der Denissows Leute für mich arbeiten, bis jetzt noch so gut wie nichts geklärt.«
Knüppelchen machte eine ausdrucksvolle Geste. Du hast dich also doch mit diesem Denissow eingelassen, besagte diese Geste, du starrsinniges, ungehorsames Frauenzimmer!
»Ich habe den begründeten Verdacht, daß im Zusammenhang mit dem Mord an dem Milizionär ein zweiter Mord begangen wurde, und zwar von denselben Leuten, die Maluschkin umgebracht haben. Ich weiß nicht, wer dieses zweite Opfer ist, wie der Mann heißt und wo
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