Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen
nicht eilig«, schnurrte sie und bettete den Kopf auf die Schulter ihren Mannes. »Vitalik hat noch sechs Jahre College vor sich. Bis dahin haben wir noch Zeit, auf die Beine zu kommen und uns zu etablieren. Das wird noch zwei, drei Jahre dauern, nicht mehr. Also haben wir noch drei Jahre in Reserve, und es macht überhaupt nichts, wenn wir diese drei Jahre noch hier verbringen. Hier haben wir es auch nicht schlecht.«
»Nein, hier haben wir es auch nicht schlecht«, stimmte Resnikow zu und öffnete den Reißverschluß an Irinas Hose. »Ganz und gar nicht schlecht.«
SECHSTES KAPITEL
1
Nastja Kamenskaja betrachtete nachdenklich das Foto des jungen Kostja Maluschkin, der am 29. September gegen 19 Uhr auf dem Gelände einer Baustelle neben der Metrostation »Taganskaja« ermordet worden war. Kostjas Leiche wurde von Obdachlosen entdeckt, die auf der Baustelle nach einem Nachtlager gesucht hatten. Maluschkins Verschwinden von seinem Posten war beinahe sofort entdeckt worden, aber aus irgendeinem Grund war niemand auf die Idee gekommen, ihn auf der benachbarten Baustelle zu suchen.
In der Abteilung 37 der Miliz, zu deren Mitarbeitern Maluschkin gehörte, sprach Nastja mit einem sympathischen operativen Mitarbeiter, der fast genauso jung war wie der ermordete Maluschkin und wahrscheinlich deshalb erfüllt von dem brennenden Wunsch, den Mord aufzuklären und den Täter zu fassen. Er hatte sich noch nicht an den Gedanken gewöhnt, daß bei weitem nicht alle Verbrechen aufgeklärt wurden, was nicht etwa an der Dummheit oder Nachlässigkeit der Ermittlungsbeamten und Untersuchungsführer lag, sondern an den ganz natürlichen Gegebenheiten des Lebens, und er, der junge, energiegeladene, tatendurstige, mit dem neuesten Wissen ausgestattete Beamte, glaubte, er würde all diesen verknöcherten, versoffenen Nichtskönnern schon zeigen, wie man Verbrecher jagen mußte.
Er war gerade dabei, die interne Mitteilung durchzulesen, die er aus der Petrowka erhalten hatte.
»Operative Ermittlungen des Kriminalamtes ergaben, daß am 29. September dieses Jahres gegen 18.30 Uhr eine junge Frau an Sergeant Maluschkin herantrat, der um diese Zeit seinen Dienst im Gebäude der Metrostation »Taganskaja« versah. Sie übergab ihm eine Notiz folgenden Inhalts: ›Ein Mann in einem hellbraunen Regenmantel, Alter etwa 35-38 Jahre, Größe ca. 180 cm, linke Hand in der Manteltasche.‹ Diese Information erhielten wir durch operative Kontaktaufnahme mit der Person, welche die Notiz angefertigt hat. Die Person hat es abgelehnt, sich an offenen Maßnahmen zu beteiligen, jedoch wurde Einigung darüber erzielt, daß sie uns für operative Ermittlungen zur Verfügung steht.
Die vorliegende Information kann zu operativen Zwecken verwendet werden, alle Maßnahmen im Zusammenhang mit der Überprüfung und Präzisierung dieser Information sollten mit uns abgestimmt werden.
V. A. Gordejew, Oberst der Miliz, Leiter der Obersten Kriminalbehörde in Moskau.«
»Aber Maluschkin hatte überhaupt keine Notiz bei sich«, sagte der Beamte verwirrt.
Natürlich nicht, dachte Nastja. Hätte er sie bei sich gehabt, hätte man mich sofort und ohne Abfindung in Rente geschickt.
»Vielleicht hat er sie jemandem vom Bereitschaftsdienst übergeben«, spekulierte Nastja. »Immerhin ist es ja nicht gerade angenehm, wenn in der Metro ein Psychopath unterwegs ist. Das müssen Sie zugeben.«
»Eine solche Information liegt mir nicht vor. Jedenfalls hat kein Mitarbeiter der Miliz an der Taganka etwas davon erwähnt. Maluschkin erhielt die Notiz etwa eine halbe Stunde vor seiner Ermordung, da hätte der betreffende Mitarbeiter sich doch auf jeden Fall erinnert und Mitteilung gemacht.«
»Wollen wir hoffen, daß Sie recht haben. Wenn man Maluschkin wegen dieser seltsamen Notiz ermordet hat, haben wir wenigstens einen minimalen Anhaltspunkt.«
»Warum will das Mädchen eigentlich keine Aussage machen, Anastasija Pawlowna?«
Weil ich das nicht möchte, dachte Nastja. Sobald Dascha bei der Miliz oder bei der Staatsanwaltschaft erscheint, wird das unabsehbare Folgen haben. Diese Weberschiffchen sind Opfer ihrer eigenen Geschäftemacherei geworden. Sie reisen in die Türkei und nach Griechenland und schleusen billige Massenware ein. Ganz Moskau läuft in griechischen Pelzen, türkischen Lammfellmänteln, Jacken und Regenmänteln herum. Die Regenmäntel haben alle denselben Schnitt und dieselbe Farbe, schwarz oder braun. Dascha hat einen Mann in einem braunen Regenmantel
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