Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen

Titel: Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
Vom Netzwerk:
funktioniert. Sie hatte sich verrechnet. Er würde Jerochin dennoch töten. Und ins Gefängnis gehen.
    »Danke«, sagte Wladimir Vakar kalt. »Wenn Sie erlauben, für mich ist es Zeit. Ich muß zur Arbeit.«
    »Alles Gute!« Nastja versuchte, das Beben in ihrer Stimme zu unterdrücken.
    7
    Er stieg aus dem Auto, seine Brust war übersät von funkelnden Generalssternen und Ordensleisten. Die Uniform stand ihm ausgesprochen gut.
    Er betrat das Gebäude der Metrostation »Taganskaja«, suchte mit den Augen die Tür mit der Aufschrift »Miliz« und öffnete sie ohne zu zögern. Im Raum befanden sich drei Milizionäre, die beim Anblick des Generals unwillkürlich aufsprangen.
    »Guten Tag«, grüßte der General unmilitärisch. »Ich würde gern erfahren, wo Ihr Kollege Konstantin Maluschkin begraben liegt.«
    Einer der Sergeanten hatte bereits den Mund geöffnet, um mürrisch nach dem Warum zu fragen, besann sich aber unter dem eisigen Blick des Mannes in Generalsuniform.
    »Haben Sie Kostja gekannt?« fragte er statt dessen.
    Der General hielt es nicht für nötig, die Frage zu beantworten. Er richtete seinen Blick wortlos auf den Leutnant, den ältesten der drei Milizionäre.
    »Kann ich bitte Auskunft bekommen?«
    »In Kunzewo, Genosse General«, antwortete der Leutnant prompt, gleichsam hypnotisiert von der Kälte in den Augen des Mannes.
    »Danke, Leutnant.«
    Vakar drehte sich brüsk um und verließ den Raum.
    Nach einer Dreiviertelstunde war er auf dem Friedhof. Er kaufte Blumen und näherte sich der Kirche, vor deren Eingang eine winzige alte Frau mit verkrümmtem Rücken stand.
    »Sei gegrüßt, Mütterchen«, sagte er mit einem warmen Lächeln.
    » Sei gegrüßt, Söhnchen.«
    »Kannst du mir sagen, wo das Grab des Milizionärs ist? Man hat ihn vor etwa einem Monat beerdigt.«
    »Du meinst Kostja? Der liegt dort hinten. Du gehst bis ans Ende der linken Reihe, dort biegst du nach rechts ab, und dann siehst du es gleich.«
    »Hoffentlich verirre ich mich nicht. Ich bin zum ersten Mal hier bei euch.«
    »Nein, nein, Söhnchen, keine Bange, du wirst es sofort sehen, es ist das Grab mit den meisten Blumen. Muß ein guter Junge gewesen sein, dieser Kostja, jeden Tag kommen sie ihn besuchen, die jungen Leute. Wer so viele Freunde hat, der muß auch den Tod nicht fürchten, stimmt’s, Söhnchen?«
    »Ich weiß nicht. . . Jeder fürchtet sich vor dem Tod«, widersprach der General.
    »Aber nach drüben müssen wir trotzdem alle. Und wie stirbt denn einer, der weiß, daß kein Hahn nach ihm krähen, daß niemand ihm eine Träne nachweinen wird? Da hat es Kostja besser. An ihn erinnern sich viele, und das heißt, daß er noch lange auf der Welt sein wird. Also, linke Reihe bis zum Ende und dann nach rechts. Da, wo die vielen Blumen sind, da ist auch Kostja.«
    Es war tatsächlich leicht, Maluschkins Grab zu finden. Vakar blieb in einiger Entfernung stehen, denn vor dem Grab erblickte er zwei Jungen, Kostjas Brüder. Vakar sah in ihre Gesichter und begriff. Das, was diese Frau von der Kripo ihm gestern zu erklären versucht hatte, offenbarte sich ihm jetzt mit gnadenloser Deutlichkeit. Kinder durften nicht verrohen, Kinder durften nicht hassen, sonst würden sie als Erwachsene nie lieben können. Der Durst nach Rache trocknete die Seele aus, er verbrannte sie, und unter der Asche würde sich nie mehr ein Keim des Guten regen können. Diese Kinder würden erwachsen werden und immer nach Rache trachten, wenn der Staat jetzt nicht für Gerechtigkeit sorgte. Sie würden anderen Leid zufügen und selbst wieder zu Objekten von Rache werden. Und so ohne Ende . . . Gewalt erzeugte Gewalt, Schmerz erzeugte Schmerz, und Rache erzeugte nur Rache.
    Er trat stumm an das Grab heran, legte die Blumen darauf, nickte Maluschkins Brüdern kurz zu und ging ohne ein Wort.

ZWÖLFTES KAPITEL
    1
    Die Wohnung, in der Dascha Sundijewa sich vorübergehend aufhielt, war klein und heruntergekommen, aber in der Zeit ihrer unfreiwilligen Gefangenschaft war es Dascha gelungen, ihr eine gewisse Wohnlichkeit und sogar Behaglichkeit zu verleihen. Sie hatte die Fenster blankgeputzt, die Kacheln in Bad, Toilette und Küche mit Scheuerpulver bearbeitet, sämtliche Vorhänge gewaschen und gebügelt, die Lampenschirme mit Seifenlauge abgewaschen und die ansehnlichsten Geschirrstücke und Nippsachen in ein offenes Regal gestellt. Schließlich sah ihre vorübergehende Unterkunft durchaus annehmbar aus. Und für Dascha war es ohnehin ein paradiesischer Ort, da

Weitere Kostenlose Bücher