Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen
bestraft wurden. Jetzt wurde Kostja Maluschkin ermordet, der freilich älter war als Ihr Sohn, aber auch noch sehr jung, gerade zwanzig. Er kam gleich nach der Armee zur Miliz, hatte noch nichts erlebt, er hatte noch nicht einmal ein Mädchen. Er hat Eltern und zwei Brüder hinterlassen. Was wird geschehen, wenn sich nun seine Brüder ebenfalls an dem frei herumlaufenden Mörder rächen wollen? Kostjas Brüder sind noch halbwüchsig, ihre unreife Psyche wird verstümmelt werden von Haß und Rachsucht. Und sie werden, im Gegensatz zu Ihnen, niemals Genugtuung finden, denn den Mörder ihres Bruders wollen ja Sie umbringen. Befürchten Sie nicht, Wladimir Sergejewitsch, daß diese beiden Jungen sich zu moralischen Krüppeln entwickeln werden? Ihr eigenes Leben ist zerstört von fruchtloser Gier nach Rache, und Sie müssen doch etwas daraus gelernt haben. Wie können Sie zulassen, daß diese zwei Jungen, von denen einer fünfzehn ist, der andere siebzehn, ihr Leben auf dieselbe Weise zerstören? Ich habe die Familie besucht, ich habe mit Kostjas Brüdern und mit seinen Eltern gesprochen. Glauben Sie mir, es war ein schrecklicher Anblick. Sie haben das alles selbst durchlebt und können sich wahrscheinlich vorstellen, was ich dort gesehen und gehört habe. Kostjas Brüder haben am Grab geschworen, den Mörder zu richten. Sie sind bereits vergiftet von Haß und Rachsucht. So geben Sie mir doch bitte die Möglichkeit, den Mörder zur Verantwortung zu ziehen. Erinnern Sie sich an sich selbst, Wladimir Sergejewitsch, an Ihre Situation vor neun Jahren. Hätte man Ihnen damals gesagt, daß man die Mörder Ihres Sohnes nur deshalb nicht vor Gericht stellen kann, weil ein Zeuge die Aussage verweigert, weil er sich aus irgendeinem Grund in stolzes Schweigen hüllt – was hätten Sie da empfunden? Was hätten Sie getan?«
Die Antwort des Generals war Schweigen.
Das war alles, dachte Nastja, jetzt habe ich mein Pulver verschossen. Wenn er auch jetzt nicht zuckt, dann ist alles verloren. Dann kann man nur noch abwarten, ihn beobachten und im Moment des Mordanschlags verhaften. Jerochins Leben werden wir vielleicht retten können, aber der General wird ins Gefängnis gehen. Nur Gott allein weiß, wie sehr ich nicht möchte, daß das geschieht!
Endlich brach Vakar das Schweigen.
»Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie keinerlei Beweise dafür haben, daß ich etwas mit den drei zurückliegenden Morden zu tun habe?«
»Ja, Sie haben mich richtig verstanden.«
»Und Sie haben auch keinerlei Beweise dafür, daß ich angeblich vorhabe, Jerochin zu ermorden?«
»Nein, ich habe keinerlei Beweise.«
»Könnte das, was ich eben gesagt habe, als Schuldgeständnis gewertet werden?«
»Nur von mir persönlich. Sonst von niemandem.«
»Warum?«
»Ich könnte sonst jemandem erzählen, daß Sie mir drei Morde gestanden haben, es würde mir nichts nützen. Sie könnten einfach behaupten, Sie hätten nur gescherzt. Und das wäre es dann gewesen. Ich habe keine Beweise. Ihr Geständnis müßte schriftlich vorliegen und von Ihnen unterschrieben sein, erst dann wäre es rechtskräftig. Alles andere sind Plaudereien auf einer Hinterhofbank.«
»Ich habe Ihnen keine drei Morde gestanden, bitte unterstellen Sie mir nichts.«
»Da sehen Sie, wie einfach es ist«, lachte Nastja gequält auf. »Sie nehmen Ihre Worte zurück, und damit hat es sich. Wissen Sie, sogar bei Gericht nehmen die Angeklagten sehr oft die Aussagen zurück, die sie während der Voruntersuchung gemacht haben. Sie nehmen sie einfach zurück und basta.«
»Und wie begründen sie das?« erkundigte sich Vakar.
»Der eine so, der andere anders. Man hat sie geschlagen, getäuscht, erpreßt, zur Aussage gezwungen, sie haben die Frage nicht verstanden, oder sie hatten Bauchweh, Kopfweh und Zahnschmerzen gleichzeitig. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.«
»Ich kann also davon ausgehen, daß Sie unter dem Strich tatsächlich überhaupt nichts gegen mich in der Hand haben?«
»Ja, davon können Sie ausgehen«, sagte Nastja sehr leise und sehr deutlich. Sie fühlte, daß ihre letzte Hoffnung zerronnen war. Sie hatte auf den geradlinigen, aufrichtigen Charakter des Generals gesetzt, sie hatte kein einziges Mal gelogen oder geblufft, sie hatte nicht versucht, ihn mit falschen Drohungen in die Enge zu treiben. Für seine Aussage gegen Jerochin hatte sie ihm Straffreiheit angeboten und alle Gründe dafür aufgezählt, den vierten Mord nicht zu begehen. Aber es hatte nicht
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