Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe
Jahre alt und kann nicht den ganzen Tag im Bett liegen und nur nach denken. Wenn meine Eltern zur Arbeit gehen, öffne ich die Vorhänge und lese. Am Nachmittag kommen meine Schulfreunde zu mir, und natürlich springe ich vom Bett auf und mache Unsinn mit ihnen. Nur meine Medizin nehme ich regelmäßig ein, das vergesse ich nie, es ist das einzige Versprechen, das ich halte. Nach dem Spielen mit meinen Freunden bekomme ich Kopfschmerzen, manchmal muß ich mich übergeben. Aber das verheimliche ich meiner Mutter. Wenn sie abends von der Arbeit nach Hause kommt und besorgt fragt, wie es mir geht, lüge ich und sage, daß alles bestens ist, daß es von Tag zu Tag besser wird. In Wirklichkeit fühle ich mich von Tag zu Tag schlechter, aber ich habe Angst, die Wahrheit zu sagen, weil ich nicht wieder ins Krankenhaus will.
Eines Tages kommt die Wahrheit doch ans Licht. Meine Mutter kommt zu einer ungewohnten Zeit von der Arbeit nach Hause, während ich mich gerade über die Toilettenschüssel beuge und unter qualvollen Krämpfen erbreche. Meine Mutter will die Erste Hilfe rufen, aber ich schluchze und flehe sie an, das nicht zu tun, ich schlage hysterisch um mich, schreie und verliere das Bewußtsein. Meine Mutter hat Mitleid mit mir. Deshalb nimmt sie Urlaub und beginnt, mich selbst zu pflegen. Unter ihrer Aufsicht halte ich mich an die Vorschriften des Arztes, und nach einer Weile geht es mir tatsächlich besser.
Seither ist viel Zeit vergangen, und jetzt erinnern mich nur noch Herbst und Frühling daran, daß ich irgendwann einmal eine schwere Gehirnerschütterung hatte. Im November und im Mai geht es mir nicht gut, ich habe starke Kopfschmerzen und bin fast immer in schlechter Stimmung. Ich bin reizbar und werde sehr schnell wütend. Danach weine ich lange und habe Mitleid mit mir selbst. Aber nach einer Weile vergeht es wieder.
* * *
Nikolaj Selujanow mochte keine Frauen. Und genausowenig mochte er Alibis, die von Frauen stammten, besonders dann, wenn es sich um die Ehefrau oder die Geliebte eines Verdächtigen handelte. Seit seine Frau ihn verlassen und mit den beiden Kindern zu ihrem neuen Ehemann nach Woronesh gezogen war, waren in seinen Augen alle Frauen Verräterinnen, er hielt sie für falsch und verlogen, und schon lange versuchte niemand mehr, ihn von dieser Meinung abzubringen. Die Ehescheidung hatte ihm lange und schwer zu schaffen gemacht, und die Trennung von den Kindern erwies sich für ihn als ganz und gar unerträglich. Er war davon überzeugt, daß seine Frau schuld am Scheitern der Ehe war und übertrug seine ganze Wut und Empörung auf die Frauen, mit denen er es in seiner Eigenschaft als Kriminalist zu tun hatte.
Als Marat Latyschew sich auf Olga Jemeljanzewa berief, die bestätigen sollte, daß Latyschew an dem Tag, an dem die zwei Morde begangen wurden, das Haus nicht verlassen hatte, glaubte Selujanow ihm kein einziges Wort. Er zweifelte keine Sekunde daran, daß die Freundin des jungen Geschäftsmannes alles bestätigen würde, was er nur wollte, und Latyschew selbst erschien Nikolaj als äußerst verdächtige Figur.
Er hatte seine eigenen Methoden, um ein Alibi zu überprüfen und es zu widerlegen, wenn er nicht daran glaubte. Diese Methoden hieß sein Chef, Oberst Gordejew, bei weitem nicht immer gut, aber Nikolaj ließ sich nicht beirren und machte sich nichts aus Gordejews Zurechtweisungen. Er gehörte zu dem Typ Mensch, für den der Zweck die Mittel heiligte, nur das Ergebnis war wichtig, und wenn der Weg, der zu diesem Ergebnis führte, Schmerzen bereitete, dann war das eben, nicht zu ändern.
Zur Verwirklichung dessen, was er vorhatte, brauchte er einen guten Fotografen, und ohne lange nachzudenken rief er Anton Schewzow an.
»Ich werde dir eine Frau zeigen, und du mußt von ihr ein paar Aufnahmen auf der Straße machen. Dann werde ich dir andere Fotos geben, und du machst eine Montage. Kannst du das?«
»Kein Problem«, erwiderte Schewzow fröhlich. Seit Freitag fühlte er sich wieder gut und eilte erneut von einem Fototermin zum nächsten.
Es machte Anton keine Mühe, Olga Jemeljanzewa, die Mitarbeiterin der Firma »Blaue Donau«, ausfindig zu machen, sie bis zu ihrem Haus zu »begleiten« und etwa ein Dutzend Fotos von ihr zu schießen. Er knipste sie auf der Straße, an der Bushaltestelle, beim Einkaufen in einem Geschäft, vor ihrem Haus. Olga war ein hübsches Mädchen, aber nicht sehr fotogen, Schewzow hatte das auf den ersten Blick erkannt und bemühte sich, sie so zu
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