Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe
gesagt, »Olga Dmitrijewna Jemeljanzewa hat das nicht bestätigt. Hier, lesen Sie.«
Marat hatte das ihm hingestreckte Blatt Papier ergriffen und die geraden Zeilen mit Olgas deutlich lesbarer Handschrift überflogen. Was für eine Idiotie! Er hatte sie doch gebeten . . . Hatte sie es etwa vergessen? Oder wollte sie sich auf diese hinterhältige Weise wegen seiner Geschichte mit Elja an ihm rächen? Das war ungerecht. Wie oft hatte er, wenn er zu ihr kam, an ganz unscheinbaren Details in der Wohnung bemerkt, daß sie Besuch von einem anderen Mann bekam oder sogar von mehreren. Hatte er ihr deshalb jemals eine Szene gemacht? Nein, niemals. Er hatte sich ihr gegenüber immer wie ein Mann verhalten, und sie machte typische Weiberfaxen. Was sollte er jetzt tun?
»Ich war zu Hause«, hatte Latyschew starrsinnig wiederholt. »In bezug auf Olga habe ich Ihnen nicht die Wahrheit gesagt, sie war an diesem Tag nicht bei mir. Aber ich war trotzdem zu Hause.«
»Allein?«
»Ja, allein.«
»Und wozu haben Sie die Geschichte mit der Jemeljanzewa erfunden?«
»Sie haben von mir verlangt, daß ich Ihnen jemanden nenne, der bestätigt, daß ich zu Hause war.«
»Aber leider kann das niemand bestätigen«, hatte Selujanow mit einem sarkastischen Lächeln erwidert. »Hören Sie, Latyschew, ich habe das Gefühl, daß Sie an jenem Morgen in der Nähe des Standesamtes von Kunzewo waren. Oder irre ich mich?«
»Ja, Sie irren sich, ich war nicht dort.«
»Aber man hat Ihren Wagen dort gesehen. Können Sie das irgendwie erklären?«
Marat war bleich geworden. Wer zum Teufel konnte ihn dort gesehen haben? Er hatte seinen Wagen ziemlich weit entfernt vom Standesamt abgestellt. Und Bekannte hatte er nicht in dieser Gegend, soviel er wußte.
»Warum sind Sie so sicher, daß das mein Wagen war?« Er hatte versucht, mit ruhiger Stimme zu sprechen, aber es war ihm nicht besonders gut gelungen.
»Weil der grüne Ford mit dem amtlichen Kennzeichen T 308 MK bei der Meldestelle auf Ihren Namen registriert ist, auf Marat Alexandrowitsch Latyschew, geboren 1969. Was haben Sie dazu zu sagen?«
»Gar nichts. Das ist ein Irrtum.«
Marat hatte das gesagt, was er für notwendig hielt, aber ihm war es vorgekommen, als würde der Boden unter seinen Füßen brennen. Die Wahrheit hatte er nicht sagen können, da er sonst seine enge Verbindung zu Turbins Mutter hätte preisgeben müssen, und das hätte zu überflüssigen Fragen geführt. Veronika Matwejewna hatte ihn gebeten, sie zum Standesamt zu begleiten. Man hatte sie nicht zur Trauung eingeladen, aber sie wollte unbedingt auf dem Standesamt sein. Natürlich hatte sie Marat den Grund nicht gesagt, aber er hatte ihn auch so erraten.
»Nein, Marat Alexandrowitsch, das ist kein Irrtum«, hatte Selujanow leise und scheinbar ohne jede Gemütsbewegung gesagt. »Sie haben die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: entweder waren Sie an diesem Tag selbst an dem Ort, wo Ihr Wagen stand, oder Sie haben Ihr Auto dem geliehen, den sie beauftragt haben, Elena Bartoschs Hochzeit zu verhindern. Sie können wählen.«
Marat hatte lange gebraucht, um sich zu sammeln. »Ja, ich war tatsächlich dort«, hatte er schließlich mit einem tiefen Seufzer gestanden. »Ich war dort. Und was weiter?«
»Nichts weiter. Aber warum haben Sie das verheimlicht und auch noch die Jemeljanzewa in die Sache hineingezogen? Warum wollten Sie das arme Mädchen zum Lügen zwingen? Was haben Sie also am 13. Mai in Kunzewo gemacht, Marat Alexandrowitsch?«
»Das werden Sie nicht verstehen«, hatte Latyschew trocken gesagt. »Wurden Sie schon einmal von einer Frau verlassen?«
»Und ob«, hatte Nikolaj gegrinst. »Aber was folgt daraus?«
»Haben Sie einfach so das Handtuch geworfen, sich abgefunden, jede Hoffnung aufgegeben?«
»Bitte etwas konkreter, Herr Latyschew«, hatte Selujanow stirnrunzelnd gesagt. »Wir sprechen im Moment von Ihnen und nicht von mir.«
»Ich hatte immer noch Hoffnung. Verstehen Sie? Ich habe bis zur letzten Minute auf ein Wunder gewartet, darauf, daß Elja sich besinnt und zu mir zurückkommt. Sogar am Tag ihrer Hochzeit habe ich noch gehofft, deshalb bin ich nach Kunzewo gefahren. Ich habe sie von weitem beobachtet, wie sie aus dem Auto ausstiegen, wie sie das Standesamt betraten. Und ich konnte immer noch nicht glauben, daß es das Ende war. Ich mußte mit eigenen Augen sehen, wie sie als Mann und Frau wieder herauskommen. Ich wollte so lange warten, bis ich es sah. Denn solange ich es nicht gesehen hatte,
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