Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
Angst davor, dass ich erfahre, wer sie sind?
»Das muss nicht sein«, lächelte sie. »Ich kann die Metro nehmen. Wollen Sie mit mir frühstücken?«
Er schüttelte den Kopf.
»Wenn Sie nicht wollen, dass ich Sie fahre, werde ich jetzt gehen.«
»In Ordnung«, sagte sie und wickelte sich fröstelnd in ihren Morgenmantel. Im Flur war es viel kälter als in der Küche, wo schon lange die Gasflammen auf dem Herd brannten.
»Auf Wiedersehen.«
»Alles Gute, Pawel.«
»Passen Sie auf sich auf.«
»Sie auch«, sagte Nastja mit leichtem Spott.
Sie schloss die Tür hinter ihm, ging zum Fenster und sah so lange auf die Straße, bis Pawel ins Auto eingestiegen und weggefahren war. Erst jetzt spürte sie fast körperlich, wie die Anspannung nachzulassen begann.
Teil 4
VIERZEHNTES KAPITEL
Nastja begann, den Fall des geheimnisvollen Henkers gründlich zu studieren, und machte sofort einige kleine Entdeckungen. Erstens lag die Akte über den Mord an dem Abgeordneten und seiner Familie zwar zur Überprüfung beim Ministerium, aber man hatte diesen Fall nicht den Serienmorden zugeordnet, mit denen sich das Arbeitsteam befasste. Zweitens hatten in einigen Bezirken wesentlich mehr personelle Veränderungen stattgefunden als in anderen, wo es ebenfalls Serienmorde gegeben hatte. Und drittens war der Henker genau in den Regionen aktiv geworden, wo die meisten Kaderwechsel zu beobachten waren.
Die Recherchen waren unwahrscheinlich arbeitsintensiv, erforderten sehr viel Konzentration, Sorgfalt und Erinnerungsvermögen. Jeden Abend und natürlich auch die Wochenenden verbrachte Nastja am Computer, erstellte Listen, Skizzen, Tabellen und Datenverarbeitungsprogramme. Schließlich war ihr, als kenne sie den gesamten Personalbestand der Ämter für Inneres in einem Dutzend russischer Regionen auswendig, jeden Namen einzeln. Ständig verlangte sie von Konowalow neue Daten und bekam von ihm dicke Aktenordner und lange Listen. Es dauerte zwei Wochen, bis sie ihre vierte kleine Entdeckung machte, die sich als die wichtigste erwies.
Nastja ging mit einer Diskette in der Handtasche zu Konowalow ins Ministerium. Sie war sicher, dass sich in seinem Büro ein Computer befand, obwohl sie noch nie gesehen hatte, dass er ihn benutzte. Diesmal musste sie nicht lange warten, der General empfing sie sofort.
»Sehen Sie«, sagte Nastja, nachdem sie den Computer angestellt und die Diskette eingeschoben hatte, »das ist die Karte von Russland. Die blauen Kringel markieren die Gebiete, in denen unaufgeklärte Serienverbrechen vorliegen. Die roten Kringel bezeichnen die Gebiete, in denen 1993 eine starke Personalfluktuation innerhalb der Ämter für Inneres stattfand.«
»Und was bedeuten die schwarzen Kringel?«, erkundigte sich Alexander Semjonowitsch.
»So weit bin ich noch nicht. Eins nach dem anderen. In dem ersten Ordner, den Sie mir gegeben haben, befanden sich die Unterlagen über zwölf Mordserien, richtig?«
»Richtig«, bestätigte der Leiter des Hauptkomitees.
»Hier sind sie, zwölf blaue Kringel. Neben fünf dieser blauen Kringel befindet sich jeweils ein roter. Erinnert Sie das an etwas?«
»Bis jetzt nicht. Woran sollte es mich denn erinnern?«
»An die Weltgeschichte«, scherzte Nastja. »An den brennenden Reichstag zum Beispiel oder an verschiedene Episoden des Kampfes gegen das frühe Christentum.«
»Geht es nicht etwas einfacher?«, fragte Konowalow.
»Doch, es geht auch einfacher«, erwiderte Nastja nachsichtig. »In fünf Regionen finden brutale Serienmorde statt, gleich darauf beginnen auffällige Kaderumstellungen in den entsprechenden Ämtern für Inneres. In weiteren sieben Regionen, in denen ebenso brutale Morde stattfinden, geschieht nichts dergleichen. Haben Sie als Leiter des Hauptkomitees eine Erklärung dafür?«
»Hier ist keinerlei Erklärung nötig. Das eine hat einfach nichts mit dem anderen zu tun.«
»Glauben Sie wirklich? Dann möchte ich Sie daran erinnern, dass vor genau einem Jahr im Zusammenhang mit dem Mord an einem bekannten Fernsehjournalisten von heute auf morgen ein Staatsanwalt und der Leiter der Hauptverwaltung für Inneres entlassen wurden, und dem Innenminister hat man im Parlament sogar das Misstrauen ausgesprochen. Haben Sie das vergessen?«
»Nun gut, nehmen wir an, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt. Dann möchte ich hören, welche Schlüsse Sie daraus ziehen.«
»Bitte sehr, nur wappnen Sie sich mit Geduld, Alexander Semjonowitsch. Wir haben also festgestellt, dass in
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