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Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers

Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers

Titel: Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Viertelstunde später, als die Nachrichten begannen, stellte er den Fernseher tatsächlich an. Es kamen keinerlei interessante Meldungen, der Sonntag war kein Tag für Sensationen und politische Skandale. Pawel spielte eine Weile an der Fernbedienung herum und fand schließlich einen Regionalsender, auf dem gerade eine Talkshow lief. Der Moderator versuchte, eine kontroverse Debatte zwischen einem Vertreter der Stadtverwaltung und einem Vertreter der Städtischen Duma zu entfachen. Doch die Diskussion kam nicht in Gang, die beiden sagten immer dasselbe und stimmten einander in allem zu. Es ging um die Frage, inwieweit die Stadtverwaltung verantwortlich war für die Tätigkeit ihrer einzelnen Abteilungen. Der Moderator legte sich ins Zeug, so gut er konnte, und zog schließlich einen Trumpf aus dem Ärmel, offenbar in der Hoffnung, die beiden zu einem aggressiveren Verhalten anstacheln zu können, indem er sie in die Verteidigungsposition zwang.
    »Wie Ihnen bekannt ist«, begann er, an die Zuschauer gewandt, »existiert in unserer Stadt bereits seit zwei Jahren eine Initiative von Eltern, deren Kinder Opfer eines blutrünstigen Mörders geworden sind. Dieser Mörder ist bis heute nicht gefasst. Zu der Elterninitiative gehören nicht nur Mütter und Väter aus unserer Stadt, sondern auch aus einigen benachbarten Städten, wo der Mörder ebenfalls sein Unwesen treibt. Diese Eltern vertreten einen eindeutigen Standpunkt hinsichtlich der Verantwortung der städtischen Dienststellen im Kampf gegen die Kriminalität. Hier eine Aufzeichnung.«
    »Diese Menschen haben sich heute nicht getroffen, um die Untätigkeit der Rechtsschutzorgane anzuklagen«, kommentierte eine Stimme das Bild. »Sie setzen keine Hoffnungen mehr auf die Behörden und auf die Staatsanwaltschaft, sondern sind entschlossen, selbst dafür zu sorgen, dass die Tragödie, die ihnen widerfahren ist, sich nicht wiederholt, dass neue Opfer verhindert werden und die kleinen Bürger unseres Landes entsprechenden Schutz genießen.« Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht einer Frau mit einem wütenden Blitzen in den Augen.
    »Wir werden alles dafür tun, dass sich so etwas nicht wiederholt. Möge Gott verhüten, dass jemand das durchmachen muss, was wir vor drei Jahren durchgemacht haben. Unsere Initiative existiert erst seit zwei Jahren, weil wir bis dahin geglaubt haben, die Miliz würde etwas tun, um dieses Ungeheuer zu fassen. Aber inzwischen haben wir begriffen, dass wir von dieser Seite nichts zu erwarten haben. Der Mörder ist nach wie vor auf freiem Fuß. Deshalb haben wir uns zusammengeschlossen, um wenigstens andere Kinder zu schützen. Für unsere eigenen Kinder können wir ja nichts mehr tun . . .«
    Die Frau verstummte, Tränen traten ihr in die Augen. Der Filmbeitrag war zu Ende, auf dem Bildschirm erschien wieder der Moderator mit seinen Gästen. Nastja vergaß ihr Kreuzworträtsel. Sie wusste, um welche Verbrechen es ging. Vor etwas mehr als drei Jahren waren in dieser Gegend elf Jungen im Alter zwischen sieben und neun Jahren ermordet worden. Ihre Körper wiesen keinerlei Spuren sexueller Gewalt auf, aber in die Brust eines jeden war das russisch-orthodoxe Kreuzzeichen hineingeschnitten. Die Verbrechen waren tatsächlich noch nicht aufgeklärt, die Sache lag zur Prüfung beim Ministerium, aber zur Ergreifung des Mörders hatte das bisher noch nicht geführt.
    Der Bildschirm erlosch plötzlich, Pawel hatte den Fernseher abgestellt und nahm wieder die Zeitung zur Hand.
    »Möchten Sie nichts über den Mörder hören?«, fragte Nastja enttäuscht.
    »Über den Mörder habe ich schon alles gehört. Jetzt werden sie über die Verantwortung sprechen, und einer wird sie auf den anderen schieben. Das interessiert mich nicht. Aber wenn Sie es sehen möchten, stelle ich den Fernseher wieder an.«
    »Nicht nötig«, entgegnete sie trocken.
    In Wirklichkeit hätte sie die Diskussion sehr gern verfolgt, aber das durfte sie Pawel nicht zeigen. Für den Mörder durfte sie sich interessieren, weil sich für ihn alle interessierten, das konnte bei Pawel kein Misstrauen erwecken. Aber für die Diskussion über die Verantwortung der Behörden, über verwaltungstechnische Angelegenheiten bei der Bekämpfung von Verbrechen, hätte sie sich nur als Anastasija Kamenskaja interessieren dürfen, als Majorin der Miliz, nicht aber als die dümmliche, wenn auch dreiste und erfolgreiche Abenteurerin, die sie ihm vorspielte. Deshalb setzte sie eine undurchdringliche Miene

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