Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
Dmitrijewitsch. Sie haben im Innenministerium Auskünfte über Sie eingeholt, und ich schließe nicht aus, dass sie ihre Leute nach Samara geschickt haben, um Sie ermorden zu lassen. Sie müssen mit offenen Augen an die Sache herangehen, ich möchte nicht, dass Sie im Dunkeln tappen und unnötige Risiken eingehen. Um den Vertrag zu erfüllen, den wir miteinander abgeschlossen haben, werden Sie sich direkt in die Höhle des Löwen begeben müssen, der im Moment schläft und davon träumt, Ihrer habhaft zu werden.«
Minajew hätte seine Rede sehr gern fortgesetzt. Pawel Dmitrijewitsch, hätte er gern gesagt, Sie dürfen nicht persönlich bei diesen Leuten auftauchen, lassen Sie das andere machen. Tschinzows Leute kennen Sie von Angesicht zu Angesicht, aber Sie hatten schließlich Mitarbeiter, als Sie in Bulatnikows Diensten standen, und diese Mitarbeiter kennt niemand. Niemand außer Ihnen selbst. Doch Minajew hielt sich zurück und sagte nichts dergleichen. Er fürchtete, die so mühsam erkämpfte Zusammenarbeit mit Sauljak zu gefährden.
Sauljak nahm die Liste, die der General ihm reichte, und überflog sie. Sie enthielt nicht nur die Adressen und Telefonnummern der aufgeführten Personen, sondern auch kurze biographische Angaben.
»Möchten Sie, dass ich mit einer bestimmten Person anfange, oder soll ich nach eigenem Gutdünken vorgehen?«, fragte Pawel.
»Tun Sie, was Sie für richtig halten. Die Reihenfolge hat für mich keine Bedeutung. Wie viel Geld brauchen Sie für den Anfang?«
»Ich weiß es nicht, ich kenne die heutigen Preise nicht mehr. Geben Sie mir tausend Dollar, und ich werde sehen, wie lange ich damit auskomme. Oder verlange ich zu viel?«
»Nein, nein«, erwiderte der General eilig und holte seine Brieftasche hervor. »Das ist keinesfalls zu viel. Sie werden ja selbst sehen.«
In den drei Tagen, die Pawel zur Erholung auf der Datscha verbracht hatte, hatte General Minajew über Strohmänner Sauljaks Auto verkaufen lassen, das die ganzen zwei Jahre in einer bewachten Gemeinschaftsgarage gestanden hatte. Er hatte ein paar tausend Dollar draufgelegt und ein neues Auto für Pawel gekauft, eines, das zu der äußeren Erscheinung eines Menschen passte, der im Ausland verheiratet gewesen war und es nicht nötig hatte, einer Arbeit nachzugehen.
Pawel fuhr nach Moskau. Minajew begleitete ihn vors Haus, er blieb bewegungslos am Gartentor stehen und blickte Pawel lange hinterher, seiner schmalen, geraden Gestalt, die einer gespannten Saite glich und sich jetzt immer weiter entfernte, bis sie schließlich hinter der Biegung des Weges verschwand, der zur Bahnstation führte. Dann ging Minajew langsam zurück ins Haus, schloss die Tür von innen ab und begann, das Abendessen vorzubereiten. Er wusste, dass ihm jetzt eine schwierige Zeit bevorstand, mindestens eine Woche, in der ihn Zustände von Gereiztheit und Zorn heimsuchen würden, und es war besser, in dieser Zeit möglichst wenig mit den Menschen zusammenzukommen, die er nicht kränken wollte. So war es immer bei ihm, wenn eine Operation, die lange und sorgsam vorbereitet worden war, kurz vor ihrer konkreten Realisierung stand. In der Vorbereitungsphase konnte man noch etwas neu durchspielen, neu überdenken und kombinieren. Man konnte das alte Ziel verwerfen und sich ein neues setzen, man konnte sich von seinen Mitarbeitern trennen und sich bessere suchen. Man konnte den Beginn der Operation verschieben, wenn man spürte, dass noch nicht alle bereit waren, dass sich etwas noch nicht richtig zusammenfügte. In der Vorbereitungs- und Planungsphase konnte man alles noch ändern und berichtigen. Aber sobald die Operation begonnen hatte, schienen dem General die Ruder aus den Händen zu gleiten, er hatte das Gefühl, keine Kontrolle mehr über die Situation zu haben. Seine Leute taten die ersten konkreten Schritte, viele verschiedene Mechanismen wurden entsprechend dem Plan in Gang gesetzt und begannen zu wirken, aber jeden Moment konnte etwas Unvorhergesehenes geschehen, etwas, das große Unannehmlichkeiten mit sich bringen oder sogar zur Katastrophe führen konnte. So sorgfältig man eine Operation auch vorbereitete, alles konnte man nicht vorhersehen und planen, der Zufall spielte immer mit. Deshalb litt General Minajew anfangs immer unter dem widerwärtigen Gefühl, womöglich versagt zu haben und nicht mehr Herr der Dinge zu sein. Dieses Gefühl ließ ihn nicht schlafen, es verdarb ihm den Appetit und vergiftete ihm jede Minute. Dann, etwa nach
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