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Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers

Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers

Titel: Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Jekaterinburg war er angeblich nur deshalb plötzlich verschwunden, weil er den andern beiden entkommen wollte, die ihn verfolgten. Hat Wassilij etwa gelogen? Oder ist es tatsächlich so, wie Bulatnikow immer gesagt hat? Kann man vor Pawel nichts verbergen, bekommt er tatsächlich immer die Wahrheit heraus?
    Wjatscheslaw Jegorowitsch fasste sich und sah auf die Uhr. Es war halb elf, längst Zeit, nach Hause zu fahren, und er stand immer noch hier, in Kunzewo, in irgendeiner Grischin-Straße. Der Teufel musste ihn hier hergelockt haben!
    Er ging mit langsamen, vorsichtigen Schritten zu seinem Auto, stieg ein und ließ mit einer entschiedenen Bewegung den Motor an.
    * * *
    Heute hatte Rita ihre Arbeit besser gemacht als das letzte Mal. Sie hatte ihr Selbstvertrauen wieder gefunden und gezeigt, was sie konnte. Pawel wollte noch etwas abwarten und bat Rita, sich einstweilen ins Auto zu setzen. Er stand in der Dunkelheit, verborgen hinter Bäumen, und beobachtete Solomatin. Diesmal hatte Rita ihren Gesprächspartner nicht aufgefordert, bis dreihundert zu zählen, sie hatte ihn nur gebeten, eine Weile zu warten, und es dauerte dreiundzwanzig Minuten, bis Wjatscheslaw Jegorowitsch zu sich kam. Sauljak hatte absichtlich auf die Uhr gesehen. Rita hatte sich wirklich sehr gut geschlagen. Pawel hatte ein wenig befürchtet, sie könne nach der gemeinsam verbrachten Nacht schwach geworden sein, nachgelassen haben in ihrer Konzentration auf die Arbeit, aber genau das Gegenteil war eingetreten. Sie war noch besser geworden. Bestand darin vielleicht das ganze Geheimnis? Sie war die Schwächste in der Gruppe, für schwierige Aufgaben hatte er sie nie einsetzen können, aber vielleicht war das so gewesen, weil ihr der emotionale Ansporn gefehlt hatte. Wenn es sich tatsächlich so verhielt, dann bestand die Hoffnung, dass ihre Fähigkeiten jetzt zur vollen Entfaltung kommen würden, und wenn sie sich außerdem fest an Pawel binden würde, brauchte er außer ihr überhaupt niemanden mehr. Wenn sich heraussteilen sollte, dass die andern sein Verbot missachtet hatten und unangenehm aufgefallen waren, dann konnte er sie zum Teufel schicken. Zum Glück wusste niemand von ihnen von Ritas Existenz, zu ihr führte keine Spur, auch im schlimmsten Fall hatte Rita nichts von ihnen zu befürchten.
    Pawel sah, dass sie völlig erschöpft war, ihre Schläfen glänzten vor Schweiß. Mit einem Gefühl ungewöhnlicher Zärtlichkeit dachte er daran, dass sie sich in dem Gespräch mit Solomatin wahrscheinlich deshalb so verausgabt hatte, weil sie ihn, Pawel, nicht enttäuschen wollte. Es hatte in seinem Leben noch nie eine Frau gegeben, der er wirklich wichtig gewesen war und die Angst davor hatte, ihn zu enttäuschen. Er erinnerte sich plötzlich daran, wie er Rita zum ersten Mal gesehen hatte, ein kleines, mageres Mädchen mit bläulich-blassem Gesicht, sie trug einen hässlichen Krankenhauskittel und war so voll gepumpt mit Medikamenten, dass sie beim Gehen schwankte. Damals war sie neunzehn Jahre alt und glich einem verstörten Küken. Zuerst hatte die Miliz sie mitgenommen, weil die Nachbarin in der Gemeinschaftswohnung sie wegen Diebstahl angezeigt hatte. Angeblich entwendete Rita regelmäßig den Wodka ihres Mannes und kippte ihn in den Ausguss. Der Revierbeamte wollte den Streit gütlich beilegen, doch die Nachbarin, das wusste Pawel mit Sicherheit, hatte ihm eine ordentliche Summe zugesteckt, um Rita loszuwerden und deren frei gewordenes Zimmer für sich und ihren trunksüchtigen Mann zu beanspruchen. Man brachte Rita aufs Revier und schickte das entsprechend aufbereitete Beweismaterial an den Untersuchungsführer, der über die Einleitung eines Strafverfahrens entscheiden sollte.
    »Sie haben den Wodka immer selbst ausgekippt«, behauptete Rita in ihrer heiligen Einfalt, »ich habe ihn nie angerührt.«
    »Wissen Sie denn, was Sie da reden, junge Frau?«, fragte der verblüffte Untersuchungsführer. »Ihre Nachbarn haben also den Wodka gekauft und dann selbst ausgekippt? Das ist doch Unsinn.«
    »Das ist kein Unsinn«, behauptete Rita starrsinnig. »Ich habe gewollt, dass sie ihn auskippen, und sie haben es getan.«
    Irgendwelche weiteren, glaubwürdigeren Aussagen konnte man ihr nicht entlocken und traf schließlich eine weise Entscheidung: Rita musste sich zur Erstellung eines gerichtspsychiatrischen Gutachtens der Überprüfung ihres Geisteszustandes unterziehen. Da sie weiterhin hartnäckig bei der Behauptung blieb, sie hätte die

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