Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
aller Augen praktisch ermordet hatte. Was für ein Idiot, lieber Gott, was für ein Idiot!
Und Semjonow, dieser hirnlose Bastard, hatte einen Autounfall gebaut. Er war schon von Jugend an so und hatte sich nie geändert. Für ihn galten keine Regeln. Betrunken Auto fahren – das war das Einzige, was er konnte.
Das alles war vor drei Tagen geschehen. Und gestern, nachdem das ganze Land den Besuch des Präsidenten in seiner Heimatstadt auf dem Bildschirm verfolgt hatte, hatte sich Jewgenij Schabanow erhängt. Sollte er das aus freien Stücken getan haben? Nie und nimmer. Natürlich hatte man nachgeholfen. Schabanow hatte zu viel des Guten getan, auch er kannte kein Maß. Tausendmal hatte man ihn gewarnt: immer schön langsam und vorsichtig, bevor du einen Schritt nach vorn tust, musst du erst zwei nach hinten machen. Aber nein. Jetzt hatte er es geschafft, er hatte aus dem Besuch des Präsidenten in seiner Heimatstadt eine Zirkusnummer gemacht. Und nur einem kompletten Dummkopf konnte verborgen bleiben, dass das alles die Absicht eines Einzelnen war. Wer hatte den Tagesablauf geplant? Natürlich Schabanow. Wer hatte dem Präsidenten geraten, in aller Herrgottsfrühe das Grab seiner Eltern zu besuchen? Natürlich einer, der wusste, dass die Temperaturen in diesen Breitengraden um diese Tageszeit bei minus dreißig Grad lagen. Wer hatte den Text seiner Rede bearbeitet? Alles das hatte natürlich Schabanow getan. Offenbar hatte er in seinem Leben nicht genug zu lachen, dieser Knallkopf, deshalb hatte er aus dem Präsidenten einen Clown gemacht. Er hätte sich lieber eine Zirkuskarte kaufen sollen, wenn ihm so danach war, sich totzulachen.
Der Präsident hatte schließlich nicht nur Feinde, sondern auch Freunde. Und weiß Gott nicht wenige. Schabanows Tod war natürlich bedauerlich. Immerhin hatte man in ihm einen Verbündeten im allernächsten Umfeld des Präsidenten gehabt. Ohne ihn würde es nicht einfach sein. Aber andererseits geschah es ihm recht, er war selbst schuld.
So dachte Grigorij Valentinowitsch in der Nacht, in der er von Schabanows Tod erfuhr. Doch schon am nächsten Tag nahmen seine Gedanken eine ganz neue Richtung. Gegen zwei Uhr erreichte ihn eine neue Schreckensbotschaft: Ein Mann aus Malkows Team, der im Fall des Wahlsieges bereits als neuer Innenminister vorgesehen war, war das Opfer eines Verbrechens geworden. Ein Wahnsinniger hatte direkt vor seiner Haustür mehrere Schüsse auf ihn abgegeben. Natürlich hatte man den Mann sofort festgenommen, denn das Verbrechen hatte sich morgens um zehn ereignet, auf einer belebten Straße. Aber die Tatsache, dass man den Mörder gefasst hatte, machte auch nichts besser, der potenzielle zukünftige Minister erlag noch vor Eintreffen der Miliz und des Rettungswagens seinen Verletzungen.
Und da begriff Grigorij Valentinowitsch, dass genau die Leute ins Jenseits befördert wurden, die sich vor Pawel Sauljaks Freilassung aus der Strafkolonie gefürchtet hatten. Diejenigen, in deren Interesse man vor einigen Jahren »Säuberungen« in Regierungskreisen verschiedener Landesregionen vorgenommen hatte. Diejenigen, die diese Regionen zu Umschlagplätzen für Waffen und Drogen gemacht hatten. Sollte jemand davon Wind bekommen haben und nun dafür sorgen, dass die Konkurrenten sukzessive beseitigt wurden?
Das kann nicht sein, sagte sich Tschinzow. Das ist Unsinn. Jurzew hat sich selbst vergiftet, jeder hat das gesehen. Isotow hat seine Frau selbst unter das Auto gestoßen. Sollte es ein Racheakt gewesen sein, dann war wahrscheinlich nicht er gemeint, sondern seine Frau. Semjonow hat den Autounfall selbst verursacht, niemand hat bei ihm im Auto gesessen. Und Schabanow? Es ist kaum anzunehmen, dass er sich freiwillig erhängt hat, die Leute von der Gegenseite werden nachgeholfen haben. Wahrscheinlich haben sie sich dafür gerächt, dass Schabanow den Präsidenten lächerlich gemacht hat. Und dieser Mann, den der Wahnsinnige erschossen hat? Es ist einfach die Tat eines Geisteskranken, nichts weiter. Ich muss aufhören, mir dummes Zeug einzureden, sagte sich Grigorij Valentinowitsch entschieden. Es kann nur ein Zufall sein.
Und doch war es nicht so einfach, den Verdacht loszuwerden. Und vor allem fiel der Verdacht natürlich auf Pawel Sauljak. Aber schon wenige Minuten später besann sich Tschinzow und lachte auf. Was tat hier Pawel zur Sache? Was ging ihn das alles an? Verständlich wäre es gewesen, wenn er angefangen hätte, Geld für sein Schweigen zu verlangen.
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