Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
Enttäuscht stellte er fest, dass sein Idol ihn gar nicht wahrnahm, weil andere sich in den Vordergrund drängten, Wichtigtuer und Ellenbogenmenschen, während er, Solomatin, sich immer abseits gehalten und stillschweigend seine Arbeit gemacht hatte. Immer hatte er darauf gewartet, dass sein Idol ihn endlich bemerken würde. Ach, Slawa, Slawa, würde er dann gesagt haben, wir sind einen langen Weg miteinander gegangen, Schulter an Schulter, und immer warst du eine verlässliche Stütze für mich. Ohne dich hätte ich nichts im Leben erreicht. Und diese Worte hätte dann nicht nur Wjatscheslaw Jegorowitsch gehört, sondern jedermann im ganzen Land. Das hätte ihm genügt, um zu wissen, dass er nicht umsonst gelebt hatte. Aber sein Idol schwieg.
In der ersten Amtszeit des Präsidenten war es Solomatin nicht gelungen, auf sich aufmerksam zu machen. Und jetzt setzte er seine ganze Hoffnung darauf, dass der Präsident wieder gewählt wurde. Aber dafür musste man etwas tun. Und Wjatscheslaw Solomatin hatte sein Leben lang alles selbst gemacht, er hatte sich nie auf andere verlassen.
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Schon von Anfang an, seit Solomatin seinem Idol zu folgen begann, wurden ihm Aufgaben auf dem Gebiet der Wissenschaft und Bildung übertragen. Es war schwer zu sagen, ob das Zufall oder Absicht war, aber wohin Solomatin seinem Idol auch folgte, immer wurde ihm ein Posten an einer Universität oder an einem wissenschaftlichen Institut zugeteilt, mal als Personalleiter, mal als Parteisekretär. Deshalb konzentrierte er sich jetzt nicht auf wirtschaftliche Probleme, sondern auf die Tschetschenienkrise, wenn er seine geringen Möglichkeiten erwog, dem Präsidenten im Wahlkampf nützlich zu sein. Er hatte gute Beziehungen zu den wissenschaftlichen Instituten der Hauptstadt, mit vielen ihrer Mitarbeiter war er gut bekannt, und es war ihm völlig klar, dass die Vorschläge zur Lösung der Tschetschenienfrage nicht die vom Präsidenten gegründeten Kommissionen erarbeiten würden, sondern die Mitarbeiter dieser Institute. So war es in früheren Zeiten gewesen, so war es auch jetzt.
Solomatin setzte vor allem auf ein Institut. Es war dem Ministerium für Inneres unterstellt und beschäftigte Fachleute für Konfliktbewältigung, die Probleme wie die Tschetschenienkrise im Rahmen umfangreicher Themenkreise bearbeiteten. Die Kollektive, die sich diesen Themen widmeten, bestanden aus Politologen, Soziologen, Juristen, Militärs, Wirtschaftsfachleuten und sogar Psychologen und Psychiatern.
Kurz, das Institut besaß große Fachkompetenz, es analysierte die Dinge mit aller Gründlichkeit und Sorgfalt, was man von anderen wissenschaftlichen Institutionen, die ihr intellektuelles Potenzial in den Dienst der Regierung stellten, nicht behaupten konnte.
Solomatin musste sich nur darüber klar werden, wie es ihm gelingen konnte, die Studie, die das Institut erstellen würde, schon vorab in die Hände zu bekommen. Es war ein nahezu aussichtsloses Unterfangen, aber Pawel Sauljak hatte sich bereit erklärt, ihm zu helfen. Und dieser Sauljak hatte ja schon des Öfteren bewiesen, dass ihm nichts unmöglich war.
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Der Leiter des Instituts, das sich auf Anweisung einer der vom Präsidenten eingesetzten Kommissionen mit Lösungsvorschlägen zur Tschetschenienkrise befasste, Pjotr Pawlowitsch Sergun, musste an diesem Tag mit der Metro nach Hause fahren. Auf den Straßen war es glatt, deshalb hatte er darauf verzichtet, sein Auto zu nehmen. Es war schon nach zehn Uhr abends, als er das Institutsgebäude verließ.
Das Institut befand sich im Stadtzentrum, in einem Labyrinth aus gewundenen Gassen mit brüchigem Kopfsteinpflaster. Ständig fiel hier die Straßenbeleuchtung aus, und bei jedem Schritt musste man darauf gefasst sein, dass man hinfallen und sich ein Bein brechen konnte. In der Umgebung des Instituts befanden sich drei Metrostationen, aber alle drei waren gleich weit entfernt und unbequem zu erreichen.
Pjotr Pawlowitsch konzentrierte seine ganze Aufmerksamkeit darauf, wohin er seinen Fuß setzte, um nicht zu stolpern oder auszurutschen, deshalb hatte er nicht bemerkt, woher dieser Mann plötzlich aufgetaucht war. Ob er ihn überholt hatte, aus der Gegenrichtung gekommen oder von der Seite an ihn herangetreten war.
»Pjotr Pawlowitsch?«, fragte der Mann mit dunkler, angenehmer Stimme.
»Ja«, sagte Sergun mechanisch und sah den Fremden erstaunt an.
Vor ihm stand ein gut gekleideter Mann seines eigenen Alters, er hatte dichtes graues Haar und
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