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Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers

Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers

Titel: Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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er, und Garik bemerkte, dass sich nicht nur sein Sprechrhythmus verändert hatte, sondern auch die Intonationen und die Atmung. Es war ihm schnell gelungen, sich auf das Pummelchen einzustellen.
    »Sie nehme ich in die Kategorie der soliden Menschen auf«, scherzte die Zugbegleiterin.
    »Gilt für die soliden ein anderes Angebot an Speisen und Getränken?«, mischte Garik sich ein, wobei er versuchte, in demselben Rhythmus zu sprechen wie sie. »Dann muss ich über die Sache nachdenken. Vielleicht sollte ich in diesem Fall die Kategorie wechseln. Was raten Sie mir? Betrachten Sie meinen Kollegen doch bitte mal mit Ihrem erfahrenen weiblichen Blick, und sagen Sie mir, warum ich immer so viel Pech habe.«
    Die Zugbegleiterin richtete ihren Blick gehorsam auf Rifinius, und nun nahmen die beiden sie in die Zange. Karl wirkte über Augenkontakt auf sie ein, über Mimik und Gestik, während Garik ohne Punkt und Komma redete und dabei immer versuchte, ihren Sprach- und Atemrhythmus zu imitieren.
    »Ich mache schon seit Jahren Dienstreisen mit ihm, und es ist immer dasselbe. Er ist immer jedermanns Liebling, und mich bemerkt man kaum neben ihm . . .«
    Karl gab Garik ein unmerkliches Zeichen, und Garik verstummte. Die Zugbegleiterin hatte sich mit dem Rücken an die Tür gelehnt und sah Karl unverwandt an. Sie schien nicht einmal bemerkt zu haben, dass Garik zu reden aufgehört hatte.
    Die Pause war nur ganz kurz, nur jemand mit sehr viel Erfahrung hätte bemerken können, was hier vor sich ging. Garik fuhr fort.
    »Sie werden jetzt in Ihr Abteil zurückgehen und zwei Gläser Tee mit Zitrone für uns machen. Dann werden Sie auf einen Zettel eine Zeile aus Ihrem Lieblingslied schreiben und auf einen anderen eine Zeile aus Ihrem Lieblingsgedicht. Danach werden Sie uns den Tee bringen, und mit ihm zusammen die beiden Zettel. Gehen Sie jetzt.«
    Die Zugbegleiterin drehte sich um, öffnete mit Mühe die Abteiltür und ging hinaus auf den Gang. Nach einigen Minuten kehrte sie mit einem Tablett in der Hand zurück. Neben den Teegläsern lagen zwei gefaltete Blätter Papier auf dem Tablett. Das Lieblingslied der Zugbegleiterin war »Der blaue Waggon« aus einem bekannten Zeichentrickfilm, ihr Lieblingsgedicht »Ich habe so lange um Liebe gefleht« von Semjon Nadson. Garik steckte die beiden Zettel ein, holte die Frau aus der Trance und schloss die Tür, hinter der sie verschwand.
    »Eine interessante Mischung, nicht wahr?«, sagte Karl nachdenklich. »Ein simples Kinderliedchen und daneben das wenig bekannte Gedicht eines Künstlers, der nicht in der Schule durchgenommen wird und an den sich überhaupt kaum noch jemand erinnert. Seltsam.«
    »Wissen Sie eigentlich, warum wir diesmal zu zweit arbeiten sollen?«, fragte Asaturjan, ohne weiter auf das Seelenleben der Zugbegleiterin einzugehen, und nahm einen Schluck von dem inzwischen abgekühlten Tee. »Gibt es Probleme?«
    »Nicht dass ich wüsste«, erwiderte Rifinius mit einem Schulterzucken. »Man muss nur die psycholinguistische Herkunft des Objekts berücksichtigen.«
    »Was muss man berücksichtigen?«, Garik sah seinen Partner verständnislos an.
    »Mchitarow ist ein russifizierter Armenier, und da Sie ebenfalls gebürtiger Armenier sind, wird es Ihnen nicht schwer fallen, mit entsprechenden Schlüssel- und Reizwörtern auf sein Unterbewusstsein einzuwirken. In manchen Fällen ist es sehr nützlich, mit der Muttersprache des Objekts zu arbeiten, besonders dann, wenn das Objekt diese Sprache schon lange nicht mehr gesprochen hat. Indem man Wörter und Begriffe benutzt, die untrennbar mit der frühen Kindheit verbunden sind, erreicht man, dass das Objekt in einen Zustand frühkindlicher Abhängigkeit und Unterwürfigkeit zurückversetzt wird und dadurch bedingungslos gehorcht. Ich kann kein Armenisch, aber Sie können es. Aus diesem Grund werden Sie bei dieser Aktion gebraucht. Die andere Sache ist die, dass Herr Mchitarow sich wegen Schlaflosigkeit und überhöhter Reizbarkeit des Öfteren in ärztliche Behandlung begeben hat. Ich schließe nicht aus, dass dies die Symptome einer psychischen Anomalie sind. In diesem Fall muss bei ihm eine besondere Methode angewandt werden. Ich werde ihn mir mit den Augen des Fachmanns ansehen und mich auf ihn einstellen. Vielleicht muss ich bei ihm von meiner üblichen Arbeitsmethode abweichen.«
    Mehr gab es nicht zu sagen, gegen halb elf gingen die beiden schlafen. Am nächsten Morgen, pünktlich um acht Uhr neunundzwanzig, rollte der »Rote

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