Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
Jungen einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen. Er ist so begeistert von dir, dass Tatjana dich jetzt für einen weiblichen James Bond hält und Komplexe bekommen hat.«
»Sag ihr, dass ich beim Laufen normalerweise schon nach drei Metern keine Luft mehr bekomme. Diesem Zug bin ich aus purem Entsetzen hinterhergerannt. Ich hatte eine erste Zeugin gefunden, und sofort entschwand sie wieder. Deine Tanja braucht wirklich keine Komplexe zu bekommen. Ich arbeite seit Jahren bei der Kripo und bin gestern zum ersten Mal gerannt. Bis dahin habe ich alles im Sitzen geschafft.«
* * *
Es vergingen einige Tage, bis die Zugbegleiterin namens Vera sich meldete. In dieser Zeit war die Sache kaum vorangekommen. Keiner weiteren Person aus Malkows Mannschaft widerfuhr ein Unglück, die Identität des Mannes, der in Krylatskoje ermordet worden war, konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.
Vera kam zu Nastja in die Petrowka, obwohl Nastja keineswegs darauf bestanden hatte. Aber Vera gestand stotternd, dass sie die legendäre Moskauer Kriminalbehörde furchtbar gern einmal mit eigenen Augen sehen würde. Nastja hatte nichts dagegen, so war es sogar besser für sie.
»Ich habe eine Bitte an Sie«, sagte Nastja, als ihr Vera endlich gegenübersaß. »Lassen Sie uns eine Tasse Tee trinken, und dann gehen wir gemeinsam ins Labor und versuchen, ein Phantombild von dem Armenier zu erstellen, mit dem der Ermordete im Abteil war.«
Vera begann sofort in ihrer riesigen Tasche zu kramen.
»Ich habe Brot dabei und ein paar Dosen Pastete. Wollen wir etwas essen?«, fragte sie schüchtern.
Sie vertilgten mit großem Appetit je zwei dicke Scheiben von dem frischen dunklen Brot, dick bestrichen mit finnischer Pastete, tranken Tee dazu und waren bereits dabei, ins Labor aufzubrechen, als Korotkow plötzlich ins Zimmer hereingestürzt kam.
»Hier!«, sagte er und legte ein Foto vor Nastja auf den Tisch. »Schau dir das an.«
Auf dem Foto war ein toter Mann mit eindeutig kaukasischen Gesichtszügen zu sehen.
»Wer ist das?«, fragte Nastja und sah Jura verblüfft an. »Hatte der auch keine Papiere bei sich?«
»Doch, diesmal haben wir das volle Sortiment. Pass, Visitenkarten, Notizbuch. Aber zeig das Foto doch für alle Fälle einmal deinem Gast.«
»Hier, Vera, schauen Sie mal«, sagte Nastja und reichte der Zugbegleiterin das Foto.
Sie nahm es in die Hand und nickte.
»Das ist er. Mein Gott, hat man den auch . . .? Warum denn nur?«
»Das wissen wir auch noch nicht«, erwiderte Korotkow zornig. »Die Damen essen hier also und geben einem hungrigen Mann nichts ab.«
»Jura, halt dich zurück«, sagte Nastja vorwurfsvoll.
»Aber nein, nicht doch.«
Vera öffnete sofort wieder ihre bodenlose Tasche und holte erneut Brot und ein Döschen Pastete hervor. »Bitte essen Sie, essen Sie, so viel Sie wollen, ich habe noch eine Menge von diesen Dosen.«
»Danke, Vera Michajlowna«, sagte Korotkow mit einem Augenzwinkern. »Anastasija Pawlowna soll ruhig mal ein Beispiel echter Großherzigkeit und Freigebigkeit sehen. Von ihr bekommt man nicht einmal eine Tasse Kaffee. Sie ist ein richtiger Geizkragen.«
Vera begriff, dass er scherzte, und lachte irritiert und gleichzeitig übermütig auf.
Korotkow zog geschickt den Deckel von der Dose, schnitt sich eine Scheibe Brot ab und begann, die Pastete direkt mit einem Löffel aus der Dose zu essen.
»Sie müssen ja schrecklich hungrig sein«, sagte die Zugbegleiterin, während sie Jura voller Mitgefühl und beinah mit Zärtlichkeit anblickte, so, wie Mütter manchmal ihre erwachsenen Söhne ansehen, wenn sie nach einem schweren Arbeitstag nach Hause kommen und sich auf das liebevoll zubereitete Essen stürzen. Nastja kochte Korotkow eine Tasse Kaffee.
»Trink, du unverschämter Kerl«, lächelte sie. »Wie kommst du dazu, mich vor einer Zeugin zu blamieren?«
»Vera Michajlowna ist keine Zeugin«, sagte er mit vollem Mund. »Sie ist eine freiwillige Helferin, fast eine von uns. Vor ihr brauchen wir uns nicht zu genieren.«
Ganz schön raffiniert, dachte Nastja. Der weiß, wie man sich gut stellt mit wichtigen Zeugen, das muss man ihm lassen. Gleich wird er ihr auf den Pelz rücken. Ich kenne meine Pappenheimer.
»Vera Michajlowna, wenn wir schon das Glück haben, dass Sie uns helfen«, begann er im selben Moment. . .
»Dann könnten Sie doch Ihre Kollegen einmal fragen, ob jemand von ihnen die beiden Männer vielleicht auf der Rückfahrt von St. Petersburg nach Moskau gesehen hat«,
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