Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen
zweitens, wenn Ferrando sie nach zwanzig Jahren erkennt, dann hat sie sich offensichtlich nicht so stark verändert, zumindest ist aus der blühenden jungen Frau, die gerade ihr erstes Kind geboren hat, keine hässliche, klapprige und bucklige Alte geworden. Sonst hätte kein Ferrando sie wieder erkennen, sich nach zwanzig Jahren an ihr Gesicht erinnern können.
Als Resümee all dessen, was ich hier aufgeschrieben habe, möchte ich sagen: Azucena ist zweifellos eine negative Figur, wenn man die Logik ihres Handelns betrachtet, doch der Autor empfindet eindeutig Sympathie für sie, das geht aus der Musik hervor. Und ich, wenn Sie es mir erlauben, werde eben diese Zwiespältigkeit spielen, die Zerrissenheit der Figur. Ihr Äußeres muss ihrem realen Alter entsprechen, sie ist eine eindrucksvolle, starke Frau, die ihre Schönheit noch nicht eingebüßt hat.«
Drittes Kapitel
Korotkow
Während Anastasija Kamenskaja die »weiblichen« Spuren verfolgte, um herauszufinden, warum die ausrangierte Schauspielerin Soja Semenzowa und Xenija Masurkewitsch, die Frau des Sirius-Präsidenten, Alina Wasnis so leidenschaftlich gehasst hatten, befasste Jura Korotkow sich mit einem gewissen Nikolai Charitonow, der bei der Filmfirma als Produktionsleiter beschäftigt war.
Charitonow war ein typischer Pechvogel, einer der Menschen, die auf keinen Fall Geschäfte machen sollten, aber nichtsdestotrotz hartnäckig auf schnelles Geld aus sind, die einen Rubel investieren und nach zwei Tagen einen Tausender abräumen wollen. Seine Projekte scheiterten eins nach dem anderen, doch kaum hatte er einen Schuldenberg abgetragen, häufte er unverdrossen den nächsten an. Im Januar 1995 hatte er sich von Alina dreitausend Dollar geliehen, für vier Monate, zu einem Zinssatz von fünfzehn Prozent pro Monat – so viel bekam Alina von der Bank, wo sie ihr Sparkonto unterhielt. Die vier Monate waren am fünfzehnten Mai abgelaufen, doch Charitonow hatte seine Schulden nicht beglichen. Mehr noch, er ging Alina aus dem Weg.
Den ganzen Sommer verbrachte Alina bei Außenaufnahmen zu Andrej Smulows neuem Film »Wahnsinn«, dessen Handlung größtenteils am Meer spielte. Am fünfzehnten September, nach Ablauf von noch einmal vier Monaten, riss ihr der Geduldsfaden, und sie verlangte die gesamte Summe zurück, einschließlich der Zinsen, was nunmehr statt dreitausend bereits sechstausendsechshundert Dollar ausmachte. Charitonow war unangenehm überrascht. Da er Alina schon lange kannte, hatte er damit nicht gerechnet. Alina setzte sich niemals mit jemandem auseinander, stellte nie Forderungen oder bestand auf ihrem Recht, und deshalb hatte er gehofft, sie würde geduldig warten, bis er die Schulden zurückzahlen könnte und würde ihm nicht die Pistole auf die Brust setzen. Doch Alina Wasnis reagierte anders. Zwar brachte sie nicht den Mut auf, selbst mit Charitonow zu sprechen, doch sie schickte ihren Liebhaber Smulow vor, der ihm in eindeutigen Worten übermittelte, dass es Zeit sei und er das Geld unverzüglich zurückzuzahlen habe.
»Und was haben Sie nach Smulows Anruf getan?«, fragte Korotkow, dem dieser Charitonow von Minute zu Minute widerwärtiger wurde.
»Was schon . . . Ich hab meine Bekannten abgeklappert, um das Geld aufzutreiben.«
»Und, haben Sie es aufgetrieben?«
»Hab ich«, bestätigte Charitonow mit einem tiefen Seufzer. »Was blieb mir denn übrig? Mit Alina hätte ich mich ja vielleicht noch einigen können, aber mit Andrej Lwowitsch, das war mir zu riskant.«
»Und dann?«
»Dann habe ich es zu Alina gebracht.«
»Wann war das? Um welche Uhrzeit?«
»Am Abend, gegen zehn.«
»Sind Sie sich sicher?«
»Womit? Dass das am Abend war?«
»Dass es am Abend war, und dass Sie das Geld zurückgezahlt haben. Sind Sie sich sicher?«
»Natürlich, ich bin doch nicht verrückt.«
»Das Dumme ist nur, Nikolai Steppanowitsch, dass dieses Geld in der Wohnung der Wasnis nicht gefunden wurde.«
»Wie das? Wieso nicht gefunden? Ich habe ihr doch die ganze Summe persönlich übergeben! Vielleicht hat sie es gleich zur Bank gebracht?«
»Abends um zehn? Halten Sie mich nicht zum Narren, Nikolai Stepanowitsch. Es sieht nicht gut aus für Sie. Entweder der Mörder hat das Geld genommen, oder Sie haben es überhaupt nicht zurückgezahlt. Alina Waldissowna kann ja nun nicht mehr aussagen, ob Sie ihr das Geld gebracht haben oder nicht. Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Sie haben sie ermordet, um das Geld nicht zurückzahlen zu
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