Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen
verdammten Sportnormen hätte sie garantiert nicht geschafft.
Stassow
Er kannte Soja Semenzowa zwar, war aber zum ersten Mal bei ihr zu Hause. Er staunte, wie sehr die Atmosphäre in ihrer Wohnung dem Eindruck widersprach, den Soja auf ihre Umwelt machte. Einfach unglaublich, wie die Wohnung dieser früh gealterten Frau die Aura einer echten Diva verbreitete. Mehrere frische Blumensträuße, an den Wänden riesige Fotografien der Semenzowa in verschiedenen Rollen, alle aus ihrer Jugend und ihrer aktiven Schauspielzeit. Alles blitzsauber und ordentlich, auf einem kleinen Tisch zwischen drei Sesseln ein origineller Aschenbecher und zwei angebrochene Flaschen, französischer Kognak und irischer Sahnelikör. Kaum zu glauben, dass hier die Soja lebte, die alle im Studio nur völlig verlottert kannten, mit tiefen Falten, in unglaubliche, schrecklich geschnittene Klamotten in unschönen Farbkombinationen gehüllt. Jetzt, da sie den Sicherheitschef bei sich zu Hause empfing, war sie die Liebenswürdigkeit in Person und ganz Dame von Welt.
»Soja Ignatjewna«, begann Stassow behutsam, bemüht, schnell eine andere Gesprächstaktik zu entwickeln als die, die er sich zurechtgelegt hatte für ein Gespräch mit einer heruntergekommenen unglücklichen Trinkerin. »Könnten Sie sich bitte Freitag, den fünfzehnten September, in allen Einzelheiten ins Gedächtnis rufen?«
»Warum?«, fragte die Semenzowa hochmütig, setzte sich in einen Sessel und schlug die Beine übereinander.
Stassow empfand Unbehagen und heftiges Mitleid mit dieser Frau. Die dick geschminkten Wimpern und die großzügig mit Lidschatten bemalten Augenlider konnten ihre Falten nicht verbergen; auf dem Kopf trug sie offensichtlich eine Perücke, die üppige blonde Locken imitierte. Das Make-up unterstrich nur die mangelnde Glätte ihrer Haut, die glänzenden Strumpfhosen lenkten die Aufmerksamkeit auf Beine, auf die sie längst nicht mehr stolz sein sollte. Früher war Soja Semenzowa eine schlanke, zierliche Statuette mit wohlgeformten Beinen und Händen gewesen. Nun aber wirkte sie wie verschrumpelt, der Alkohol und die zahllosen Medikamente hatten sie innerlich ausgebrannt und nur die leere, schlaffe Hülle übrig gelassen. Die Bewegung, mit der sie die Beine übereinander schlug, mochte vor fünfzehn, zwanzig Jahren aufreizend und sexy gewesen sein, heute war sie nur lächerlich und kläglich.
»Wir versuchen zu rekonstruieren, was Alina an jenem Tag getan hat. Darum ist es für uns so wichtig herauszufinden, wer sie wo und wann gesehen oder wenigstens mit ihr telefoniert hat. Könnten Sie mir dazu etwas sagen?«
»Nein, das kann ich nicht. Am Freitag habe ich Alina nicht gesehen.«
»Versuchen Sie sich bitte zu erinnern, Soja Ignatjewna, vielleicht hat jemand zu Ihnen gesagt, er habe Alina gesehen? Oder sie angerufen? Für uns ist jede Kleinigkeit wichtig. Denken Sie bitte gründlich nach.«
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte sie plötzlich und griff nach der Kognakflasche.
»Nein, danke.«
»Aber ich.« Herausfordernd hob sie den Kopf.
Sie nahm einen Kognakschwenker von der Ablage unterm Tisch, füllte ihn und leerte ihn in einem Zug.
»Was sehen Sie mich so an? Ja, ich trinke, auch morgens. Aber nur, wenn ich nicht arbeite. Wenn ich drehe, bin ich nüchtern. Da können Sie fragen, wen Sie wollen. Niemand hat Soja Semenzowa je betrunken am Set gesehen. Und was ich zu Hause tue, das geht keinen etwas an.«
Der Kognak wirkte sofort, und Stassow begriff, dass Soja wirklich krank war. Sie wurde augenblicklich betrunken. Aber möglicherweise hatte sie auch schon angefangen, bevor er gekommen war, und goss nun nur nach. Ihre Wangen röteten sich unter der dicken Schicht Schminke, ihre Augen glänzten.
»Wäre dieses Flittchen nicht gewesen, wäre ich jetzt voll im Geschäft«, erklärte sie mit vor Erregung klirrender Stimme. »Bedanken Sie sich bei ihr, dass ich trinke. Das war alles sie . . . Sie . . .«
Soja schenkte sich erneut ein und leerte das Glas wieder in einem Zug.
»Also, was wollen Sie wissen, Slawa?«
Stassow ärgerte ihr plump vertraulicher Ton, aber er beschloss, das zu ignorieren. Sie wollte sich mit ihm gleichaltrig fühlen? Bitte sehr. Hauptsache, sie erzählte etwas Brauchbares.
»Gehen wir doch einmal zusammen den letzten Freitag durch, den ganzen Tag, Schritt für Schritt. Wann sind Sie aufgestanden?«
»Ich stehe sehr früh auf. Ich bin Schauspielerin, ein Arbeitspferd, keine Boheme-Pflanze, die sich die ganze Nacht
Weitere Kostenlose Bücher
Die vierte Zeugin Online Lesen
von
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg