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Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen

Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen

Titel: Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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verabredet hat. Warum? Weil sie weiß: Sie tut Unrecht. Sie weiß es, tut es aber dennoch. Mit anderen Worten, wir können nicht behaupten, Gilda sei das unschuldige Opfer eines Betrugs, sie habe nichts Schlechtes im Sinn gehabt und sei übel hintergangen worden. Sie hatte sehr wohl Schlechtes im Sinn, und darum hat sie ihrem Vater nichts gesagt.
    Schließlich rauben die Leute des Herzogs Gilda und bringen sie direkt in die Gemächer des erwähnten Herzogs. Gilda verbringt dort eine relativ lange Zeit. Nachdem sie von dort zurück ist, und zwar, beachten Sie das, ohne blaue Flecke und nicht in zerrissener Kleidung, schwört Rigoletto Rache. Gilda fleht den Vater selbstverständlich an, seinen Zorn zu zügeln. Warum? Weil sie den Herzog liebt. So steht es im Libretto. Und nun, Leonid Sergejewitsch, lassen wir mal die Konventionen der Oper beiseite und werfen einen Blick auf das echte Leben. Gilda hat eine relativ lange Zeit mit dem Herzog im Bett verbracht und weist keine Spuren von Gewaltanwendung auf. Der Schluss ist eindeutig: Sie fühlt sich keineswegs vergewaltigt und geschändet. Im Gegenteil, das Ganze hat ihr großes Vergnügen bereitet, und sie versucht ehrlich zu sein, und bemüht sich, den Vater von seinem Zorn abzubringen. Und nun stellen Sie sich ein keusches Mädchen vor, das noch niemals . . . und so weiter, und das plötzlich geraubt und gefesselt und erst im Bett eines Mannes wieder losgebunden wird, und dieser Mann zwingt sie auch noch zum Geschlechtsverkehr. Können Sie sich ein Mädchen vorstellen, dem das alles so sehr gefällt, dass es anschließend sein Leben für diesen Mann geben würde? Und vergessen Sie nicht, dass der Mann es obendrein auch noch betrogen hat: Er hat sich als armer Student ausgegeben, dabei ist er der Herzog von Mantua. Mit anderen Worten, er hat ihr die Unschuld geraubt, aber eine Heirat kommt nicht infrage, und so ist sie nun für den Rest ihres Lebens entehrt, geschändet, hat am Ende womöglich auch noch ein uneheliches Kind am Hals. Und für das alles liebt Gilda ihn so treu? Machen Sie sich nichts vor, Leonid Sergejewitsch. Solche Mädchen gibt es nicht. Um sich so zu verhalten, wie sie es in der Oper tut, muss sie ganz anders sein. Zweifellos erfahren. Kokett. Schnell verliebt. Leidenschaftlich und temperamentvoll. Und zugleich hochanständig. Denn selbst als der Herzog sie mit Maddalena betrügt, ist die Eifersucht nicht so groß, dass sie den Tod des Treulosen fordert. Es verletzt sie, aber sie weiß genau, dass der Herzog sie nicht verführt hat, das sind Ammenmärchen für den Papa, sie sind sich einfach begegnet, gefielen einander, verbrachten eine Nacht zusammen und fühlten sich beide wohl dabei. Und es ist ungerecht, dass der Herzog dafür nun mit dem Leben bezahlen soll. Das Verlangen war beiderseitig und das Vergnügen ebenso. Den Herzog trifft keine Schuld. Sie selbst dagegen, Gilda, sie ist schuldig: Sie hatte Angst, ihrem Vater die Augen über sich zu öffnen, ihm zu sagen, dass sie schon lange keine Jungfrau mehr ist, dass es ihr mit dem Herzog im Bett gefallen hat und dass sie selbst das nicht weniger wollte als er. Aus Feigheit hat sie den Vater in dem Irrtum gelassen, der Herzog habe sie betrogen und ihr Gewalt angetan. Und dafür muss sie bezahlen. Was sie auch tut, indem sie sich ins Messer des Banditen wirft, um den Herzog zu retten. Der im Grunde völlig unschuldig ist . . .«

Viertes Kapitel
Kamenskaja
      
    Die frühe Herbstkälte wurde urplötzlich von einem warmen Altweibersommer mit strahlender Sonne am Tag und angenehm kühlen Nächten abgelöst. Nastja hatte Stassow nicht beschwindelt, als sie ihm erzählte, sie ginge zweimal im Monat sonntags am frühen Morgen mit General Satotschny im Ismailowskij-Park spazieren. Dieser Sonntag war einer ihrer »Spaziertage«. In letzter Zeit schloss sich ihnen auch Maxim an, der Sohn des Generals, der das letzte Jahr zur Schule ging und sich an der Milizschule bewerben wollte, und dafür musste man körperlich gut in Form sein – die sportlichen Normen bei der Aufnahmeprüfung waren ziemlich hart. Nastja und Iwan schlenderten gemächlich die Alleen entlang, während Maxim unermüdlich rannte, mal Hundertmeterstrecken, mal fünfhundert Meter, mal fünf Kilometer Cross.
    »Und, Papa?«, fragte der Junge keuchend, als er sie erreichte.
    Satotschny sah auf seine Stoppuhr.
    »Es geht, ganz anständig«, lobte er zurückhaltend. »Mit dem Laufen kannst du für heute aufhören, geh jetzt ans Krafttraining.

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