Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen
fragt ein Leinwandheld seine Braut, woraufhin diese laut lacht und sagt: »Kannst du nicht was Geistreicheres fragen? Gib mir lieber Geld, ich habe keinen Wintermantel.« Nastja hatte sich das Tonbandprotokoll des Gesprächs, das Korotkow mit Smulow geführt hatte, mehrmals angehört und erinnerte sich noch gut an Smulows Worte über Alinas Unsensibilität und Gefühlskälte. Offenbar hatte die Geschichte damals ihn so verletzt, dass er sie in ein Drehbuch übernommen oder, wie Psychologen es ausdrücken, projiziert hatte.
Doch als Nastja sich Smulows nächsten Film ansah, begriff, sie, was los war. Der Film hatte starke Ähnlichkeit mit dem vorhergehenden. Die gleichen Akzente, die gleichen Typen: ein finsterer, undurchsichtiger Schönling, der sofort verdächtig ist und sich schließlich als ungeheuer positiv erweist, und ein netter, fröhlicher Bursche, den alle mögen, der die Ermittlungen aktiv unterstützt und sich am Ende als der Mörder entpuppt. Und wieder das Motiv unerwiderter Gefühlsaufwallungen: »Sag mir was Liebes.« »Ach, hör doch auf. Sei nicht so weinerlich, du Weichling.« Nastja runzelte die Stirn. Alles klar, Smulow wiederholte sich von Film zu Film.
Als sie die Kassette schon herausnehmen und die nächste einlegen wollte, »Ewige Angst«, kam ihr ein überraschender Gedanke. Sie spulte den Film zurück und sah sich den Vorspann noch einmal an. Der Film war neunzehnhundertneunzig gedreht worden. Interessant! Neunzig kannte Smulow Alina Wasnis noch nicht, also hatte jenes verletzende Gespräch noch gar nicht stattgefunden. Doch in beiden Filmen war dieses Motiv sehr präsent. Was war das? Intuition, die dem begabten Künstler prophezeit hatte, dass die Frau, die ihn eines Tages lieben sollte, genauso sein würde, nicht sensibel und feinfühlig? Geniale Vorahnung? Oder . . .
Oder. Nastja riss die Kassette aus dem Gerät und legte die nächste ein. Genau. Wieder die gleichen Protagonisten, wieder die gleiche Situation: »Hast du Sehnsucht nach mir gehabt?« »Als ob ich keine anderen Sorgen hätte, als Sehnsucht nach dir zu haben.« Wieder tauchten immer neue Verdächtige auf, nahm das Sujet immer neue überraschende Wendungen, wieder gab es eine unerwartete Auflösung. Ja, das alles wiederholte sich von Film zu Film, und das hatten die Kritiker bemängelt. Doch auf dieses Muster stieß Nastja nicht nur in den Filmen, sondern noch irgendwo anders. Wo nur?
Gegen zwei Uhr wusste Nastja, dass sie alles, was sie gerade in Smulows fünf Filmen ohne Alina Wasnis gesehen hatte und in den dreien, in denen sie die Hauptrolle spielte – dass sie das alles selbst erlebt hatte. Hier und jetzt, im Laufe der letzten vier Tage. Alles wiederholte sich, bis ins kleinste Detail.
Von genialer Voraussicht konnte nicht die Rede sein. Die ganze Situation mit der Ermordung von Alina Wasnis und den anschließenden Ermittlungen war von derselben Hand erdacht und inszeniert worden. Vom selben Meister. Von Andrej Smulow. Aber warum? Mein Gott, warum?!
Die Hauptdarstellerin töten, kurz vor der Fertigstellung eines großartigen Films? Eines Films, der mit Sicherheit neuen Ruhm und renommierte Preise eingebracht hätte? Sich selbst als Regisseur zugrunde richten? Das wollte ihr nicht in den Kopf.
Es musste einen Grund geben, einen gewichtigen Grund. Aber wo sie diesen Grund suchen sollte, davon hatte Nastja Kamenskaja keinen blassen Schimmer.
Alina Wasnis
Zehn Tage vor ihrem Tod
Anfang September war es am Meer warm und sonnig, die so genannte »Samtsaison« begann. Die Dreharbeiten gingen zu Ende, der Film war außerordentlich gelungen, das sagten alle; er würde noch besser werden als »Ewige Angst«, und Alina kam jeden Tag in gehobener Stimmung zum Set, voller Vorfreude auf die Arbeit.
An diesem Tag drehten sie eine Szene am Strand, das Set war dicht umlagert von neugierigen Urlaubern. Andrej arbeitete schnell, er verwandte immer viel Zeit auf die Proben, um mit einem Minimum an Filmmaterial auszukommen. Die erste Klappe war bereits durchaus passabel.
»Zehn Minuten Pause, dann drehen wir das nochmal«, sagte Smulow fröhlich, öffnete eine Flasche Fanta und goss die schäumende orangefarbene Flüssigkeit in einen Plastikbecher.
Alina ging zu ihm, setzte sich in den Sand und streckte wohlig die Beine aus.
»Und, wie war’s? Alles okay?«
»Sehr gut, du bist toll. Ball im entscheidenden Moment die Hand zur Faust, ich sage Shenja Bescheid, dass er eine Großaufnahme machen soll, wenn du die Hand wieder
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