Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen
Sie waren nicht abgenutzt und zerfleddert, das Heft schlug nicht von selbst an bestimmten Stellen auf, als seien diese wiederholt gelesen worden. Schließlich kommt ja auch niemand mit gesundem Menschenverstand auf die Idee, seine Gespräche mit Freunden auf Tonband aufzunehmen und sich dann immer wieder anzuhören.
Aber wenn Alina seit vielen Jahren Tagebuch geführt hatte, war kaum zu vermuten, dass sie damit plötzlich aufgehört hatte. Also müsste ein Heft mit neueren Aufzeichnungen existieren. Wo war es?
Die Antwort lag auf der Hand: Bei Smulow. Auch die Brillanten von Alinas Mutter mussten bei ihm sein. Und das Geld, das Charitonow gebracht hatte.
Nein, nicht doch, unterbrach Nastja sich selbst. Blödsinn. Smulow war als Erster verdächtigt worden; Mord aus Eifersucht ist in solchen Fällen die erste Hypothese, der nachgegangen wird, zumal er Schlüssel zu Alinas Wohnung besaß. Man hatte bei ihm umgehend eine Hausdurchsuchung durchgeführt, daran erinnerte sich Nastja genau. Und dabei keine Brillanten gefunden, auch keine sechstausendsechshundert Dollar in Fünfzigdollarnoten. Das war natürlich noch kein Beweis, er konnte das Geld und die Brillanten woanders versteckt haben. Auch das letzte Heft mit Alinas Aufzeichnungen. Aber wo, wenn nicht in seiner Wohnung?
Hatte es überhaupt Sinn, danach zu suchen? Wenn Smulow wirklich alles inszeniert hatte, würden sie ihm, egal, wo sie das Geld und die Brillanten fanden, nichts nachweisen können. Er hatte mit Sicherheit dafür gesorgt, keine Spuren zu hinterlassen. Mehr noch, inzwischen war Nastja überzeugt, dass das Geld und die Brillanten irgendjemandem untergeschoben worden waren, genau wie das Tagebuch. Wenn Smulow Alina getötet hatte, dann nicht aus Gewinnsucht, das stand fest. Der Erfolg von »Wahn«, wäre der Film fertig gestellt worden, hätte dem Regisseur weit mehr Geld eingebracht als der Betrag, der aus Alinas Wohnung verschwunden war. Nastja hatte sich nach Alinas Honoraren erkundigt und festgestellt, dass sie davon allein niemals Wohnung, Auto und Garage hätte bezahlen können. Höchstwahrscheinlich hatte sie einen Teil des Schmucks verkauft, einen beträchtlichen Teil sogar. Hätte es sich also gelohnt, dafür die Schauspielerin zu töten, mit der man zielsicher den Höhen des Ruhmes entgegenstrebt und damit dem Wohlstand? Blödsinn.
Natürlich konnten sie nach dem verschwundenen Schmuck suchen, aber nur, um ihn den gesetzlichen Erben zu übergeben. Für die Aufklärung des Verbrechens war das ohne Belang. Sie würden nur einen neuen Verdächtigen bekommen, Kraft und Zeit darauf verschwenden, ihn zu entlarven, und alles völlig vergebens. Wenn Smulow Alina Wasnis getötet hatte, dann nicht wegen des Geldes. Aber weshalb dann? Weshalb?
* * *
Sie beschloss, zur Familie Wasnis zu fahren. Zwar war morgen Alinas Beerdigung, da stand ihnen der Sinn sicher nicht nach Gesprächen, aber trotzdem . . . Arbeit war schließlich Arbeit. Sie musste sie noch einmal dazu bringen, sich an alles zu erinnern, was sie über Alinas Leben in den letzten zwei Jahren wussten. An jede Kleinigkeit, jedes Wort.
Nastja hatte kein Glück. Auf ihr Klingeln öffnete niemand, und die Nachbarin erklärte, sie seien alle zum Friedhof gefahren, wo Alinas Mutter liege, wegen der Grabstelle.
»Sie wissen doch, der Grabstein muss abmontiert werden und die Umfriedung, damit alles ordentlich ist. Wenn man nämlich nicht aufpasst auf diese versoffene Friedhofsbande, dann stellen sie da sonst was an«, sagte die Nachbarin und rollte viel sagend mit den Augen.
Nastja beschloss zu warten. Ganz in der Nähe lag ein hübscher kleiner Park, dicht bewachsen mit Büschen und Sträuchern. Sie setzte sich auf eine Bank, zündete sich eine Zigarette an und vertiefte sich erneut in Alinas Tagebuch. Vielleicht hatte sie es nicht aufmerksam genug gelesen und etwas übersehen?
Eine vertraute Stimme riss sie aus ihrer Nachdenklichkeit.
»Nastja? Was machst du denn hier? Hat Knüppelchen dich auch eingespannt?«
Aus dem Gebüsch kam niemand anders gekrochen als Kolja Selujanow.
»Hallo«, begrüßte Nastja ihn erstaunt. »Wo soll Knüppelchen mich eingespannt haben? Wovon redest du?«
»Wovon? Vom Mordfall Woloschin. Wurde heute in der Dienstbesprechung erwähnt. Das war hier, im Nachbarhaus. Ich dachte, er hat die Sache dir übertragen, ich hab mich schon gefreut.«
»Nein, Kolja, ich bin wegen eines anderen Falles hier. Die Filmschauspielerin.«
»Ach die«, sagte Selujanow
Weitere Kostenlose Bücher