Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen
es ist.«
»Ich weiß es selbst nicht, Raissa«, bekannte Selujanow ehrlich. »Ich suche nur auf gut Glück, wer weiß, vielleicht findet sich ja etwas.«
»Wie Sie meinen«, sagte sie kühl und presste beleidigt die Lippen zusammen. »Essen Sie mit mir zu Mittag oder wie?«
»Erst esse ich mit Ihnen, und dann ›oder wie‹.« Selujanow zwinkerte ihr fröhlich zu. Er begriff, dass er sie unabsichtlich gekränkt hatte, indem er ihre Hilfe ablehnte, denn sie wollte doch dem Mann, der den Mörder ihres Beinahe-Ehemannes suchte, so gern helfen.
Aus Raissas Verhalten schloss Selujanow, dass sie in ihrem Leben mehr als genug Erfahrungen gesammelt hatte mit der Spezies »Kerl«. Als Woloschin nach zwei, nach vier und auch nach sechs Wochen nicht zurückkam und sich nicht einmal meldete, war ihr schnell klar, dass sie auch diesmal reingelegt worden war. Woloschin war Mitte Juni weggefahren, vor drei Monaten, und die unermüdliche Raissa hatte den sonderbaren, menschenscheuen Viktor längst aus ihrem Leben gestrichen, hatte aufgehört, auf ihn zu warten, und die geplante Hochzeit vergessen. Solche gescheiterten Hochzeiten hatte es in ihrem Leben wahrscheinlich schon mehrfach gegeben, und sie hatte gelernt, gefasst darauf zu reagieren, ohne Hysterie. Darum hatte sie die Nachricht von Viktors Tod nicht als Tragödie genommen, die ihr Leben zerstört hatte, sondern nur aus Trauer um den guten Mann, der anderthalb Jahre mit ihr zusammengelebt und dreitausend »Grüne« in ihren Haushalt eingebracht hatte, ein bisschen geweint.
Er schlug ein Buch mit dem Titel »Tausendundeine Frage zum Thema Nr. 1« auf, und ein Blatt Papier fiel zu Boden. Selujanow bückte sich und hob es auf. Es war das vierfach gefaltete Titelblatt der Zeitschrift »TV Park« vom ersten Juni fünfundneunzig mit einem Bild von Alina Wasnis.
»Wissen Sie zufällig, warum Viktor das aufgehoben hat?«, fragte er Raissa, die in der Küche wirtschaftete.
»Keine Ahnung.« Sie zuckte mit den kräftigen runden Schultern. »Das sehe ich zum ersten Mal.«
Kamenskaja
Wieder war Montag. Der Mord an Alina Wasnis rückte allmählich in den Hintergrund: In Moskau nahmen die Morde kein Ende – Politiker, Bankiers, Journalisten, berühmte Anwälte –, und die Kripobeamten hetzten von einem Verbrechen zum nächsten, unternahmen die ersten, vordringlichsten Schritte, schafften nichts und vergaßen schnell, was eine Woche zuvor geschehen war.
Am Samstag war Kolja Selujanow zurückgekommen, mit Neuigkeiten über Viktor Woloschin, sechs Zahlungsbelegen von Geldanweisungen und einem vierfach gefalteten Titelblatt mit dem Bild des Filmstars. Die Geldanweisungen waren von verschiedenen Moskauer Postämtern abgeschickt worden, und die sechs Chefs dieser Postämter mussten unter Tränen angefleht werden, am Sonntag einen Mitarbeiter zur Arbeit zu beordern, der die entsprechenden Einzahlungsquittungen heraussuchte.
Selujanow hatte Nastja am späten Abend angerufen. Hunger, Müdigkeit und Schlafmangel hielten ihn nicht von seinen ständigen Witzeleien ab, so war er nun mal.
»Wie es in dem unanständigen uralten Witz so schön heißt: ›Es ist der Urin des Herzogs von Orleans und die Handschrift der Königin‹«, verkündete er ohne Vorrede.
»Geht’s nicht ein bisschen einfacher?«
»Doch. Namen und Adresse des Absenders sind alle gefälscht, aber die Handschrift ist immer dieselbe.«
»Wessen denn?«
»Na, meine Liebe, das geht aber zu weit.« Er lachte. »Bring mir erst mal Vergleichsmuster, dann kannst du mich das fragen.«
Am Montagmorgen legte Nastja die Auszahlungsbelege und Alinas Tagebuch vor sich auf den Schreibtisch. Ihre Hypothese brach vor ihren Augen zusammen. Woloschin hatte das Geld nicht von Alina Wasnis bekommen. Dabei war die Hypothese so verführerisch gewesen! Woloschin hatte Alina erpresst, sie wollte sich von ihm loskaufen, hatte mit ihm vereinbart, dass er verschwindet und sie ihm Geld schickt. Dann hatte ihm irgendetwas nicht gepasst, vielleicht war der Betrag ihm zu klein, und er war zurückgekehrt. Vielleicht hatte er sogar Alina getötet. Kurz, wenn sich herausgestellt hätte, dass sie ihm das Geld geschickt hatte, hätte man die unsinnige Spekulation zum Thema Smulow ad acta legen können. Und Nastja hätte erleichtert aufgeatmet. Sie konnte nicht begreifen, was den Regisseur dazu bewogen haben sollte, Alina zu töten, und deshalb kam sie sich vor wie eine alberne Spinnerin.
Beim stupiden Betrachten der Quittungen erwischte sie
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