Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen
Korotkow.
»Warum so traurig, meine Alte? Wieder ein Reinfall?«
»Total«, bestätigte sie betrübt. »Weißt du, insgeheim hatte ich wahrscheinlich gehofft, dass meine Vermutungen wegen Smulow sich nicht bestätigen. Er ist einfach zu . . . Ich weiß gar nicht, wie ich das ausdrücken soll. Begabt. Attraktiv. Und hat kein Motiv für den Mord. Jedenfalls kann ich keins erkennen.
»Und was hat er dir da aufgeschrieben?«
»Wo?«
»Na hier.«
Er trat an den Schreibtisch und betrachtete die viereckigen Kartonabschnitte.
»Das ist doch seine Handschrift. Was sind das für Papiere?«
»Die Zahlungsbelege der Geldanweisungen an Woloschin. Die hat Kolja Selujanow aus Krasnojarsk mitgebracht. Moment mal, Jura, bist du dir sicher, dass das Smulows Handschrift ist?«
»Sieht ganz so aus.«
Er nahm zwei Belege und hielt sie sich dicht vor die Augen.
»Sieht ganz so aus«, wiederholte er nachdenklich. »Ich hab ihn doch eine Erklärung schreiben lassen an dem Tag, als wir Alinas Leichnam gefunden haben. Sie liegt bei Gmyrja in der Akte, das können wir der Technik zum Vergleich schicken. Auf den ersten Blick kann man das natürlich nicht so genau sagen, aber diese Schnörkel beim ›d‹ und beim ›s‹ sind ziemlich typisch, das ist mir aufgefallen.«
Nastja wählte rasch Gmyrjas Nummer. Der versprach, einen Schriftvergleich anzuordnen und zusammen mit einem Textmuster von Smulow per Boten in die Petrowka zu schicken.
»Steck deine Papiere in einen Umschlag und bring sie zu Swetka Kassjanowa, ich ruf sie an, dass sie das schnell erledigen soll. Und vergiss nicht, das Tagebuch auch mit reinzulegen, ich will die Techniker bitten, auch die Wasnis zu überprüfen. Wer weiß, vielleicht hat ja doch sie die Postanweisungen geschickt und bloß ihre Handschrift verstellt.«
»Dass sie aussah wie die von Smulow?«, fragte Nastja ungläubig.
»Man merkt, dass du keine Kinder hast.« Gmyrja lachte dröhnend. »Weißt du, was ein Gesetz des Lebens ist? Wen wir lieben, den ahmen wir nach. Besonders, wenn wir ihn nicht nur lieben, sondern bewundern.«
Nastja legte den Hörer auf und schaltete den Wasserkocher ein.
»Sag mal, hat Gmyrja Kinder?«, fragte sie Korotkow.
»Fünf. Er ist doch unser Heldenvater. Sag bloß, das wusstest du nicht? Darum ist er doch weg vom operativen Dienst, er hat gesagt, wenn ihm was passiert – allein kriegt seine Frau die fünf nicht groß.«
Bis zum Ende des Arbeitstages erledigte Nastja einen Haufen Dinge, half ihren Kollegen, die in verschiedenen Mordfällen zusammengetragenen Informationen zu analysieren, indem sie Diagramme entwarf und verschiedene Hypothesen durchging. Mit Entsetzen dachte sie daran, dass der Zwanzigste schon vorbei war und sie dem Chef noch nicht die monatliche Statistik über die in Moskau begangenen Gewaltverbrechen geliefert hatte. Bei jedem Klingeln des Hausapparates setzte ihr Herz einen unangenehmen Moment lang aus: Vielleicht verlangte Gordejew jetzt das fällige Papier?
Den Umschlag von Gmyrja bekam sie gegen fünf und lief damit sofort zur Kriminaltechnik, die Kassjanowa suchen. Gmyrja hatte sie familiär Swetka genannt, dabei war sie eine stattliche Dame in mittleren Jahren mit viel ungefärbtem Grau im Haar und einem wie erstarrt wirkenden widerwilligen, unzufriedenen Gesichtsausdruck. Doch der Schein trog zum Glück, Swetlana Michailowna lächelte charmant und lachte herzlich.
»Ach, Boris«, sagte sie, während sie rasch die Anordnung las. »Er sitzt mit seinen fünf Kindern auf dem hohen Ross und meint, wer nicht fünf Kinder hat, sondern nur zwei, der ist frei wie ein Vogel. Schon gut, schon gut, keine Angst, meine Kinder sind im Unterschied zu Boris’ schon erwachsen, die brauchen keine Aufsicht mehr, ich bin, nebenbei gesagt, schon Oma. Wollen Sie bleiben, bis ich fertig bin, oder können Sie sich bis morgen gedulden?«
»Ich warte, egal, wie lange es dauert«, bedankte sich Nastja überschwänglich. »Ich habe sowieso noch zu tun.«
Sie ging zurück in ihr Büro und setzte sich an die Statistik, wobei sie unaufhörlich weiter über die Verbindung zwischen der Schauspielerin Alina Wasnis und dem Hilfsarbeiter Viktor Woloschin nachdachte. Alina kannte Woloschin also seit vielen Jahren, und die Bekanntschaft war nicht besonders angenehm. Woloschin erschien ihr in ihren Albträumen, und nach diesen Träumen hatte sie Depressionen. Dann, vor zwei Jahren, geht Woloschin nach Sibirien, und Alina weiß das, denn sie atmet auf und glaubt, nun müsse sie
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