Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen
ihr telefoniert hatten, sie sei nervös gewesen. Sie war offenkundig nicht zum Reden aufgelegt und bestrebt, das Gespräch möglichst rasch zu beenden, mit der Begründung, sie habe starke Kopfschmerzen und sei müde.
Also, wenn irgendetwas geschehen war, dann zwischen fünf und acht Uhr abends. Diesen Zeitraum mussten sie minutiös überprüfen. Doch eigentlich gab es da nicht viel zu untersuchen. Von fünf bis sieben, genauer, bis zehn vor sieben, hatte Alina zusammen mit Smulow im Vorführsaal gesessen, anschließend war sie sofort in ihr Auto gestiegen und nach Hause gefahren. Smulow blieb noch bis halb neun, um mit Jelena Albikowa die Dreharbeiten für den nächsten Tag vorzubereiten. Was Smulow anschließend getan hatte, überprüfte Korotkow nicht, denn bereits um halb neun war Alina am Telefon nervös und gereizt. Das heißt, zu diesem Zeitpunkt musste schon etwas geschehen sein. Aber wo? Auf dem Weg nach Hause? Das war unmöglich zu rekonstruieren. Das hätte nur Alina beantworten können. Blieb nur der Zeitraum zwischen fünf und sieben. Aber da hatte sie doch im Vorführsaal gesessen und sich zusammen mit allen anderen das Material der Außenaufnahmen angesehen!
Korotkow seufzte und fuhr Stassow suchen. Zwanzig Minuten später saßen sie beide im Vorführsaal, und der Filmvorführer Wolodja zeigte ihnen eine Szene nach der anderen. Korotkow fiel ein, dass Nastja ihn gebeten hatte, besonders auf die Szene zu achten, über die so viel geredet und die so gelobt worden war.
»Weiß der Teufel, Jura«, hatte sie nachdenklich gesagt, »vielleicht ist die Wasnis gar keine so große Schauspielerin. Vielleicht war sie einfach nur erschrocken. Verstehst du? Echt erschrocken, nicht, weil es im Drehbuch stand. Deshalb das jähe Erblassen, die grauen Lippen und die eingefallenen Augen. Schau genau hin, vielleicht fällt dir ja irgendetwas auf.«
Darum bat Jura, mit dieser Szene zu beginnen. Das Gesicht der Schauspielerin fesselte ihn, es spiegelte so anschaulich wachsendes Entsetzen, dass Korotkow in diesem Augenblick Nastjas Bitte ganz vergaß und auf nichts sonst achtete. Die Leinwand erlosch, und da erst kam er zu sich.
»Bitte noch einmal«, bat er schuldbewusst.
»Hat dir irgendwas nicht gefallen?«, fragte Stassow erstaunt. »Warum willst du es nochmal sehen?«
»Ich hab überhaupt nicht richtig hingesehen«, erwiderte Korotkow ärgerlich. »Mein Blick hat so an Alina geklebt, dass ich alles andere vergessen habe.«
Die Szene begann erneut; diesmal bemühte er sich, die Schauspielerin nicht anzusehen, und registrierte aufmerksam alles, was ins Bild kam.
»Stop!«, schrie er. »Das ist es!«
Der erschrockene Filmvorführer kam aus seinem Kabuff gerannt.
»Was ist los?«
»Nichts«, antwortete Korotkow, nun wieder ruhig. »Halt den Apparat an, die Vorführung ist beendet. Und mach mir eine Rolle mit dem Film fertig, den nehme ich mit.«
Wolodja ging achselzuckend zurück in sein Kabuff.
»Und, was ist da drauf?«, fragte der vor Ungeduld brennende Stassow.
»Sie hat Woloschin gesehen. Warum bloß hatte sie solche Angst vor ihm?«
Selujanow
Die Mutter des ermordeten Viktor Woloschin konnte nichts Besonderes mitteilen. Selujanow interessierte vor allem die Frage, warum Viktor vor zwei Jahren so Hals über Kopf nach Sibirien gegangen war, doch das wusste sie nicht.
»Mein Gott, ich war ja so froh, dass er gefahren ist«, sagte sie unter Tränen. »Hier in Moskau hat er doch nichts Vernünftiges gemacht. Die zehnte Klasse hat er nur mit Ach und Krach beendet, er mochte nicht mehr lernen, hat auch keinen Beruf. Hilfsarbeiter – finden Sie, das ist das Richtige für einen Mann? Manchmal hat er überhaupt nicht gearbeitet. Ich kann nicht, Mama, hat er gesagt, ich kann nicht arbeiten, mir tut der Kopf weh. Ich konnte nichts machen. Und dann wollte er urplötzlich weg, ich fahre, hat er gesagt, Geld verdienen, mein Leben einrichten. Ich war froh, hab gedacht, er ist endlich zu Verstand gekommen. Zu den Novemberfeiertagen ist er weg. Wir haben nochmal alle zusammen gesessen, die ganze Familie, meine Tochter war da mit ihrem Mann und den Kindern, und haben Viktor verabschiedet.«
»Und als er zurückkam, was hat er da gesagt? Hat er irgendwie erklärt, warum er gekommen ist?«
»Gar nichts hat er erklärt. Wiedersehen wollte er mich, hat er gesagt, hat Sehnsucht gehabt. Geld brauchte er keins, in den drei Monaten hat er nicht eine Kopeke von mir genommen, da hab ich mir gedacht, dass er da in Sibirien
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