Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
eine ausgezeichnete Selbstbeherrschung, war sehr gelassen und couragiert. Aber sie hatte eine Schwäche. Nur eine einzige, aber diese Schwäche wog im Grunde schwerer als alle ihre Stärken. Alla Sergejewna vergötterte ihren Sohn. Sie war ihm blind ergeben, in Bezug auf ihn besaß sie keinen Funken Vernunft oder Urteilskraft, ganz zu schweigen von Objektivität. Sascha Strelnikow war zwanzig Jahre alt, und er holte aus seiner Mutter völlig ungeniert das Letzte heraus.
Kurz nach der Trennung von ihrem Mann sah Alla Sergejewna sich vor die Notwendigkeit gestellt, eine Wohnung für ihren Sohn zu finden. Sie führte ein recht aktives Privatleben, und Sascha stand ihr hierin in nichts nach. Freunde, Partys, Mädchen – alles das ließ sich in der Wohnung der Mutter auf Dauer schlecht verwirklichen. Alla Strelnikowa war nicht arm, das Geld, das sie als Chefin im Haus der Mode verdiente, reichte, um ihrem Sohn eine eigene Wohnung zu kaufen. Allerdings war sie danach mit ihren Finanzen am Ende. Der Wohnungskauf hatte ihr Bankkonto völlig leer gefegt. Aber ihr Sohn verlangte ständig neues Geld von ihr, und sie konnte ihm nichts abschlagen. Deshalb kam ihr das Geld, das sie von Strelnikow bekam, mehr als gelegen. Das Problem bestand allerdings darin, dass Alla ihrem Mann nicht gestehen konnte, wofür sie sein Geld brauchte. Sie musste ständig lügen und Vorwände erfinden. Mal schob sie eine Wohnungsrenovierung vor, mal eine teure ärztliche Behandlung, mal eine unumgängliche Schönheitsoperation, mal irgendeinen höchst lukrativen Vertragsabschluss, der mit einer Investition verbunden war.
Die Wahrheit bestand allerdings darin, dass ihr Sohn Sascha ein leidenschaftlicher Spieler war. Er verspielte sein Geld im Casino, bei Wettrennen, beim Kartenspiel und in allen möglichen Lotterien. Alles, was er gewann, investierte er sofort wieder ins Spiel, aber entsprechend den Gesetzen des Genres und der Statistik gewann er natürlich sehr viel weniger, als er verlor. Alla Sergejewna wusste genau, was geschehen würde, wenn ihr Mann davon erfahren sollte. Das musste auf jeden Fall verhindert werden. Und sie wusste auch genau, was passieren würde, wenn Wladimir aufhörte, ihr Geld zu geben. Das aber konnte durchaus geschehen, wenn er sich eines schönen Tages von ihr scheiden ließ, um eine neue Ehe einzugehen. Ihr Sohn würde das Spielen nicht aufgeben, über diese Tatsache konnte Alla Sergejewna sich nicht hinwegtäuschen. Das Spielen war eine unheilbare Krankheit, und wer einmal infiziert war, der blieb es für den Rest seines Lebens. Wenn die Finanzspritzen von Strelnikow ausblieben, würde Sascha sich das Geld auf andere Weise besorgen, das war völlig klar. Und Alla kannte ihren Sohn gut genug, um zu wissen, dass er niemals arbeiten gehen würde, um sich sein Geld auf ehr-liche Weise zu verdienen. Er würde sich in irgendwelche kriminellen Machenschaften verstricken, und dann war es auch nicht mehr weit bis zum Gefängnis. Obwohl man das Gefängnis ja noch überleben konnte. Es gab etwas, das sehr viel gefährlicher war. Sascha würde sich verschulden, und dann würde man mit ihm so verfahren, wie es in den letzten Jahren üblich geworden war. Leute, die ihre Schulden nicht zurückzahlten, wurden umgebracht, und zwar im Handumdrehen. Damit die anderen Schuldner wussten, woran sie waren.
Heute war das heiß geliebte Söhnchen wieder bei seiner Mutter erschienen, um sie um finanzielle Unterstützung zu bitten. Und wieder machte Alla Sergejewna einen schüchternen, völlig sinnlosen Versuch, auf ihn einzuwirken.
»Hör auf damit, mein Junge«, flehte sie. »Begreif doch, dass es nicht ewig so weitergehen kann. Der Geldbeutel deines Vaters ist kein Fass ohne Boden. Ich weiß nicht mehr, was ich ihm sagen soll, wofür ich ihn um Geld bitten soll.«
»Aber Mamilein«, flötete Sascha mit klagender Stimme, »sei doch nicht so! Alles war so gut, und jetzt machst du es kaputt.«
»Söhnchen, es scheint dir gar nicht in den Sinn zu kommen, dass dein Vater sich auch weigern könnte. Welches Recht habe ich denn, etwas von ihm zu fordern? Er lebt schon seit zwei Jahren nicht mehr mit uns zusammen, du bist volljährig, und er ist uns nichts schuldig. Es könnte ja auch sein, dass er wieder heiratet und dann für seine Frau und vielleicht für ein Kind aufkommen muss.«
»Wie kommst du auf so etwas?«, fragte er argwöhnisch. »Was willst du mir damit sagen? Ich verstehe nicht.«
»Ich will damit sagen, dass du arbeiten und
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