Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
seiner Frau Zusammenleben, während Tatjana der Gedanke an einen Umzug nach Moskau nicht gerade begeisterte. Aber nicht umsonst sagte man, dass steter Tropfen den Stein höhlt. In letzter Zeit begann Tatjana nachzugeben. Und jetzt, während sie nach dem gemeinsamen Abendessen in der kleinen, engen Moskauer Küche saß und hörte, wie Lilja nebenan hantierte, traf die leitende Untersuchungsführerin Tatjana Obraszowa eine spontane Entscheidung.
»Ist gut, Dima«, sagte sie leise. »Ich werde umziehen. Du hast Recht, die Familie ist wichtiger.«
* * *
Im Zimmer brannte kein Deckenlicht, nur zwei Wandleuchten und eine Stehlampe auf einem hohen Fuß, aber das gedämpfte Licht war angenehm und reichte aus, um das Foto an der Wand betrachten zu können. Es zeigte zwei Männer in Reitdress, sie standen nebeneinander, jeder hielt einen riesigen, muskulösen Hengst mit glänzendem, gepflegtem Fell am Zaum. Das Gesicht des einen Mannes war Mila gut bekannt, es gab in ganz Russland wohl kaum jemanden, der den namhaften Politiker, einen der Kandidaten bei den vor kurzem stattgefundenen Präsidentschaftswahlen, nicht erkannt hätte. Der zweite Mann auf dem Foto war außerordentlich attraktiv, er hatte ein sehr männliches, markantes Gesicht, und mit ihm stand Mila Schirokowa in einer halben Stunde ein Treffen bevor. Ein richtiger Deckhengst, dachte sie voller Ungeduld, einfach himmlisch. Hoffentlich hat er keinen schwierigen Charakter. Mit so einem wäre eine leichte Nummer das reinste Vergnügen.
Sie setzte sich auf das Sofa mit den weichen Kissen, streifte die Schuhe mit den hohen Absätzen ab und machte es sich bequem. Sie schlug die Beine unter und achtete dabei darauf, dass der Rock nicht zu viel, aber genug von ihren Beinen zeigte. Weiß der Henker, was für einer dieser Derbyschew ist, dachte sie, er könnte ja völlig verklemmt sein. Nicht umsonst hat er Probleme mit Frauen, obwohl einer, der so aussieht wie der, keinen Grund dazu hätte. Also muss er irgendeinen Defekt haben, irgendeine wurmstichige Stelle. Etwas ist nicht in Ordnung mit diesem Prachtexemplar. Aber das schreckte Mila nicht ab, sie war überzeugt von ihren weiblichen Reizen und ihren erotischen Künsten. Bis jetzt hatte noch kein einziger Mann bei ihr Probleme gehabt, und in Mila Schirokowas Leben hatte es nicht wenige Männer gegeben.
Sie konnte hören, wie Alik hinter der Tür hantierte, mal in der Küche, mal im Bad. Auch ein interessantes Exemplar, dachte sie, sehr originell, aber leider nicht zu gebrauchen für den üblichen Sex. Wäre Alik nicht schwul gewesen, hätte Mila sich liebend gern die Zeit bis zu Derbyschews Erscheinen mit ihm vertrieben. Ihr sexuelles Verlangen kannte keine Grenzen und ging längst über das Maß gewöhnlicher Wahllosigkeit hinaus. Sogar Strelnikow, der sie so gnadenlos herannahm, dass ihr Hören und Sehen verging, konnte ihre hemmungslose Gier nach fleischlichen Lüsten nicht befriedigen. Die ersten Wochen hatte er fast ununterbrochen mit ihr im Bett verbracht, aber so hatte es natürlich nicht ewig weitergehen können. Es lag nicht etwa an Strelnikows Potenz, obwohl der Mann, der Mila Schirokowa auf Dauer hätte befriedigen können, noch nicht geboren war, aber das Leben ging ja weiter, es gab Arbeit, Verpflichtungen, unvermeidbare Treffen und Besprechungen. Strelnikow konnte es nicht rund um die Uhr mit seiner jungen Angetrauten treiben. Aber das verlangte sie auch nicht von ihm. Sie begnügte sich mit seiner attraktiven Erscheinung, mit seinem Geld, mit dem angenehmen Leben, das er ihr bot. Mit ihren sexuellen Bedürfnissen würde sie schon irgendwie selbst zurechtkommen, sie hatte ja Erfahrung.
»Alik, was machen Sie dort?«, rief Mila.
»Nichts weiter. Ich habe hier noch einiges zu tun. Ruhen Sie sich aus, Mila, Viktor wird in etwa zwanzig Minuten hier sein. Soll ich Ihnen einen Cocktail mixen?«
»Nicht nötig«, rief sie zurück, »ich trinke lieber später etwas, zusammen mit Viktor.«
In Wahrheit konnte sie es ohne einen Drink kaum noch aushalten, wie immer vor dem ersten Treffen mit einem neuen Partner, aber sie hielt sich zurück. Man konnte ja nicht wissen, was für einer dieser Derbyschew war, womöglich würde es ihn stören oder gar abstoßen, wenn seine Besucherin nach Alkohol roch. Und so einen Mann durfte Mila sich auf keinen Fall entgehen lassen. So groß und kräftig gebaut, diese Figur, dieses Gesicht, und außerdem betrieb er Reitsport und verkehrte mit prominenten Leuten.
Aber Alik war
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