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Anastasya (German Edition)

Anastasya (German Edition)

Titel: Anastasya (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Mitterer
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anderem auch, weil sie sich nach und nach gegenseitig auslöschten, anstatt sich zu helfen.  Ich hatte alle Kriege und fast alle Völkervernichtungsmärsche mitbekommen. Ich war schon mehrmals erschossen worden, nur um so zu tun als wäre ich tot und dann heimlich nachts zwischen den Leichen hervor zu kriechen und zu fliehen – einfach, weil es mir Spaß machte.
„Naja, prinzipiell ist es nicht von Vorteil, etwas unerforscht zu lassen, deshalb beschäftige ich mich seit langem mit der Ethologie, der Gesamtheit des Verhaltens eines Individuums, ob Mensch, Tier oder Pflanze, dieses Gebiet umfasst alles. Ich fand es schon als junger Bursche faszinierend, wie sich meine Mitmenschen gegenseitig behandelten…“, von da an hörte ich nicht mehr zu. Ich hasste die Menschen, ganz besonders die, die sich für wichtig hielten, weil sie alles Mögliche studiert hatten. Er gehörte zu diesen Menschen! Aber was war so bewundernswert daran, andere zu beobachten und das aufzuschreiben, um den Entschluss zu ziehen, dass der homo sapiens fehlerhaft war. Denn das meinte er damit. Nicht jeder Mensch war wirklich ein homo sapiens, nur die, die ausreichend gebildet waren, verdienten es, sich so zu nennen und allein deren Existenz wollte er versichern.
    Ich war froh, dass er nach einer halben Stunde endlich wieder ausstieg. Er hielt mir die Hand hin. „Es war nett, Ihre Bekanntschaft zu machen“, sagte er.
    Wiederwillig streckte ich meine Hand nach seiner aus. „Danke“, sagte ich nur. Diese Antwort hatte er nicht unbedingt erwartet, empört verließ er den Zug.
    Gute zwei Stunden hatte ich das Abteil für mich, dann stiegen weitere Passagiere zu. Zu mir setzte sich vorerst niemand, aber e twas später kam eine Frau mit ihrem Kind herein.
    Sie fragte mich ebenfalls, ob sie sich hier herein setzen durften und setzte sich erst hin, nachdem ich genickt hatte.
    Ich starrte wieder aus dem Fenster und wieder erregte das das Aufsehen von jemandem. Aber nicht die Frau, sondern das Kind beobachtete mich die ganze Zeit mit einer Miene, als wollte es mich gleich fressen. Die Frau sagte, dass es nicht so glotzen sollte und dann wandte das Mädchen kurz ihren Blick ab, aber aus den Augenwinkeln schaute sie immer noch unaufhörlich zu mir.
    „Klara“, rief die Mutter jetzt. Das Mädchen drehte sich um, ich reagierte ebenfalls und starrte sie erwartungsvoll an. „Das gehört sich nicht“
    Das Mädchen fing an, herum zu nörgeln, dass sie Züge hasste und dass der Sitz unbequem war. Sie hatte scheinbar noch nie einen halben Tag begraben unter hunderten Leichen verbracht. Mit der Zeit fingen die nämlich an zu stinken und wenn man ganz unten lag wurde es auch ziemlich warm.
    Langsam ging sie mir auch auf die Nerven. Ihre Mutter versuchte schon, sie zu ignorieren, aber sie hielt einfach nicht ihren Mund. Immer wieder hieß es, dass sie unbedingt ein neues Kleid brauchte, oder dass sie es hasste, dass ihre Zöpfe ungleich lang waren und dass ihr ihre Haarfarbe nicht gefiel.
    In diesem Fall beneidete ich alle, die aus dem Zug springen konnten und dabei sterben würden. Ich hätte da nicht viel davon. Nicht einmal einen Kratzer. Das einzige, was mir dann bliebe wäre ein weiter Weg zur Zivilisation. Und der würde, in der Verfassung, in der ich war, wirklich weit sein!
    „Gefallen dir meine Sommersprossen? Ich hasse sie nämlich. Ich hätte gerne ein makelloses Gesicht so wie die Leute im Fernsehen“
    „Die haben auch genug Geld um sich das alles wegbleichen zu lassen“, entgegnete die Frau. Ich grinste und erntete dafür einen kurzen finsteren Blick von dem Mädchen.
    „Wie meinst du das?“, fragte sie.
    „Die lassen sich Muttermale wegschneiden und Sommersprossen ausbleichen, an denen ist nicht viel echt“
    Die Kleine schüttelte den Kopf. „Sowas gibt’s doch gar nicht“
    Ihre Mutter zuckte die Schultern und starrte aus dem Fenster. Ich grinste immer noch.
„Grins nicht so blöd“, fuhr mich Klara plötzlich an.
    „Setz dich hin, hör verdammt nochmal auf, hier hin und her zu laufen und halt endlich den Mund“, zischte ich.
Ihre Mutter schaute mich entsetzt an, aber ich entgegnete ihr einen finsteren Blick. Der Idiot von vorhin hatte seine Spuren hinterlassen. Ich war genervt.
    „ Rede nicht so mit mir!“, sagte das Mädchen.
    „Ich darf“
    „Warum?“
    „Weil ich älter bin“, erklärte ich ihr.
    „Und ich bin älter als ihr beide! Ihr haltet jetzt beide den Mund und Klara du setzt dich auf deine vier Buchstaben,

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