Anastasya (German Edition)
gemacht. Die Tür hing nur noch halb in den Scharnieren. Im obersten Stockwerk fehlte eine Ecke des Daches. Hier hatte scheinbar eine Bombe eingeschlagen.
Aber ich sah das Haus anders. Plötzlich war es wie früher. Nur noch die Hälfte der Fenster waren Kaputt, der Efeu hatte erst das zweite Stockwerk erreicht, die Tür hing noch ganz so, wie sie sollte und es roch lediglich nach Urin, nicht nach Verwesung. Ich erinnerte mich, dass ich oft mit einem Jungen aus dem Erdgeschoss gespielt hatte, der war aber dann erschossen worden. Ich sah, dass jemand auf einem der Dächer um mich herum stand, um in den Tod zu springen. Ich dachte darüber nach, was das für einen Sinn hatte. Er würde sterben. Er entfloh dieser Stadt, diesem Schicksal.
Und wenn ich es auch tun könnte, hätte ich es getan. Aber ich konnte nicht. Das war mein Problem. Diese verfluchte Unsterblichkeit. Ich hatte die Menschen immer für dumm gehalten, weil sie sich das Leben nahmen. Aber ich dachte genauso wie sie, sollten diese Probleme doch andere lösen, ich will mich nicht mehr damit beschäftigen.
Ich zögerte davor, das Haus zu betreten. Ich wollte nicht sehen, wie es innen aussah, aber ich musste. Ich war nicht hergekommen, um zu denken, dass es hier schrecklich war, und dann wieder zu gehen. Außerdem hatte ich momentan kein anderes Ziel.
Schließlich machte ich die wenigen Schritte und ging die Treppe hoch. Als ich die Tür berührte, fiel sie ganz ab. Großartig. Nur ja nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen…
Die Ironie lag darin, dass ich eigentlich gar niemandes Aufmerksamkeit erregen konnte. Sämtliche Bewohner dieses Hauses waren verschwunden. Der Gestank war widerlich. Es roch nach allem Möglichen, aber nicht nach Leben. Es roch nach ewiger Verdammnis, dieses Haus war verdammt. Ich musste es niederbrennen. Aber zuerst ging ich ganz nach oben in unsere Wohnung. Die Tür stand weit offen. Es sah nicht so aus, als hätte man diese Räume freiwillig verlassen. Auf dem Boden war eine Spur, jemand war heraus gezerrt worden. Ich hörte ein leises Winseln und glaubte, dass es sich um einen Hund handelte.
Ich bewegte mich langsamen Schrittes in den Raum, aus dem das Winseln kam. Das Zimmer, das ich mir mit Adam geteilt hatte. Da lag die dreckige alte Matratze und darauf saß jemand. Es war eine junge Vampirin. Sie hatte einen ziemlich schlanken Körper, recht helle Haut und blonde Haare. Sie hockte in Fetusstellung zusammengerollt in der Ecke und winselte.
„Wer bist du?“, fragte ich sie entsetzt. Naja, entsetzt war ich nicht, eher überrascht, verwirrt und überfordert. Ich hatte damit gerechnet, jemand oder etwas vorzufinden, das gerade am Sterben war. Natürlich war ich deswegen nicht enttäuscht, aber für einen kurzen Moment lang war ich geschockt.
„Lena“, antwortete sie mit zittriger Stimme. Sie hob den Kopf und starrte mich an. Ihre Augen waren hellblau und gaben einen guten Kontrast zu der Röte drum herum (sie hatte sichtlich geweint). Ihre Augen leuchteten zwischen ihren Stirnfransen hervor. Sie hatte viele und vor allem lange Wimpern und eine kleine Nase. Ihre Lippen waren aufgebissen und an ihren Wangen klebte Staub.
Ich fragte mich, wie lange sie hier bereits saß. Wobei es in diesem Haus nicht lange dauerte, dass man angestaubt wurde. Andererseits war es auch gut möglich, dass sie sich Während ihrer Heulerei auf dem Boden herum gewälzt hatte.
„Und was machst du hier?“, fragte ich noch etwas unfreundlicher als vorhin. Plötzlich brach sie wieder in Tränen aus. Ich rollte die Augen. Dass jemand nur so weinerlich sein konnte. Das war ja lächerlich. So schlecht konnte es mir gar nicht gehen, dass ich weinte! Offensichtlich war sie ziemlich jung und hatte noch keine Erfahrung, wie es hier zugehen konnte. Lange konnte sie noch nicht in diesem Kaff sein. Wenn man die erste halbe Stunde überlebte war es gar nicht mehr so schlimm. Man gewöhnte sich schnell an den Trott, der hier herrschte. Das einzige Ziel hier war es, den nächsten Tag zu erleben. Den wenigen Menschen hier ging es miserabel. Einige wussten, was sich um sie herum abspielte. Ihnen wurde gesagt, dass sie irgendwann dran waren und wenn sie fliehen würden, würden sie eines langen qualvollen Todes sterben.
Ich schüttelte den Kopf und verließ den Raum. Wie eine Katze schlich ich durch den Rest der Wohnung. Adams und mein Zimmer war eine Katastrophe. Es waren gute zehn Quadratmeter. Die waren voll von Zeichnungen, Fotos von uns und hier und da eine
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