Anastasya (German Edition)
SOFORT!“, befahl die Mutter. Ich fing an, zu lachen. Sie war älter als ich, das konnte ich mir nicht vorstellen, sie sah nur älter aus! Viel älter. Sie war um die vierzig. So alt sah ich bei Weitem nicht aus. „Eure Diskussion führt zu nichts also seid still und vor allem du, verhalte dich deinem Alter entsprechend!“, sagte sie und deutete auf mich. Einen Moment lang schoss es mir durch den Kopf, mich fallen zu lassen und so zu tun, als ob ich tot war… Aber ich ließ es dann doch bleiben, weil sie es nicht verstanden hätte. Darüber hätte nur ein anderer Vampir lachen können. Wie… Daniel.
Auf einmal wollte ich wieder sterben. Ohne ihn. Ich wollte nicht ohne ihn. Aber ich musste. Denn ich konnte nicht sterben. Noch nicht. Leider.
Die Frau und die Tochter hatten anscheinend das Selbe Ziel wie ich. Als die Tochter schlief erfuhr ich von der Frau, dass sie auf der Flucht waren. Vor ihrem Mann, der die Familie ins Abseits zog indem er nach der Arbeit das ganze Geld für Alkohol ausgab und gegen Sonnenaufgang total betrunken nach Hause kam. Ich konnte ihr ansehen, dass sie mit ihm nicht glücklich war und ich spürte, dass da noch etwas war, vermutlich hatte er sie geschlagen oder vergewaltigt, keine Ahnung, aber sie hatte panische Angst vor dem was vor und hinter ihr lag.
„Und Sie denken, dass der kleine verruchte Vorort eine bessere Umgebung ist?“ Ich konnte mir kaum vorstellen, dass es ihr in meiner Heimat besser ging. Es würde ihr Elend noch größer machen.
„Ich denke, dass ich neu anfangen kann“ , meinte sie. Ich bezweifelte das. Sie würde keine paar Tage überleben. Der ganze Ort war voller Mörder, Diebe und Vampire, dir nur auf Frischfleisch warteten. Von jedem fünften Hochhaus sprang im Stundentakt ein Mensch, rund um die Uhr wurde Alkohol konsumiert und in jeder vierten Seitengasse wurde jemand vergewaltigt und misshandelt. Es war schrecklich!
Außerdem trug fast jeder eine Waffe bei sich, wobei von einem Taschenmesser bis zu einer Pistole alles dabei war.
„Was suchst du in dieser Gegend?“, fragte sie mich.
Ich wusste nicht, was ich darauf jetzt antworten sollte. Ich kannte keine Antwort. „Verwandte besuchen“, sagte ich dann. Pf. Was für eine schlechte Lüge.
Sie erzählte mir mehr von ihrem Mann. Er war ziemlich groß, stark gebaut und hatte eine nahezu unmenschliche Kraft. Außerdem reagierte er auf vieles eiskalt und gleichgültig. Langsam, aber immer mehr kam mir der Gedanke, dass es sich bei diesem Mann nicht um einen Menschen handelte.
Schließlich hielt der Zug an. Ich schaute kurz aus dem Fenster. Draußen schien sich nichts Gutes anzubahnen. Es herrschte Leere. Panik lag in der Luft. Die Frau weckte ihre Tochter auf und als die zwei das Abteil verließen zeigte mir das Mädchen die Zunge. Ich ging langsam hinterher. Ich hatte keine Eile. Wozu auch, ich hatte alle Zeit der Welt. Als ich kurz vor dem Ausgang war hörte ich zwei Schüsse, dann fiel sowohl die Mutter als auch das Mädchen fast vor meinen Füßen zu Boden. Alle anwesenden schienen nicht gerade überrascht, sie gingen einfach weiter und ich starrte den Mann mit der Pistole in der Hand entsetzt an. Ein weiterer Schuss fiel. Ich senkte meinen Blick. Er hatte mir in die Brust geschossen.
„Ich werde nicht sterben“, verkündete ich.
Es klang fast ein wenig gelangweilt …
„Ich weiß“ , er grinste mich an. Idiot. Wenn er wusste, was da vor ihm stand, warum verschwendete er dann die Kugel, die ihm vielleicht einmal das Leben gerettet hätte?
„Wozu dann der Schuss?“, fragte ich verwirrt.
„Einfach so“, antwortete er, legte die Waffe auf den Boden und ging weiter. Der nächste, der vorbei lief hob die Waffe hoch und steckte sie ein. Ich schüttelte den Kopf und versuchte, nicht auf die Körper der Frau und des Kindes zu treten. Mit dem Essen spielt man nicht, dachte ich kurz, verwarf aber den Gedanken wieder, weil ich ihnen eigentlich noch ein langes Leben gegönnt hätte. Aber es war vermutlich besser so, als dass das Mädchen hier aufwuchs.
Mehr oder weniger ziellos schlenderte ich durch die Straßen. Einerseits wusste ich, wo ich hin wollte, andererseits kannte ich den Weg vom Bahnhof dorthin nicht.
Nach gut einer Stunde hatte ich dann den Block gefunden. Das Haus war heruntergekommener denn je. Es gab kein einziges Fenster, das nicht beschädigt war. Irgendwelche Jugendlichen hatten es von oben bis unten vollgesprayt, Efeu und Schimmel hatten sich den Weg bis ganz nach oben
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