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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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kannst du so etwas behaupten? Kommen sie nicht aus allen Richtungen?«
    »Doch, aber meistens haben sie eine geringe Neigung – sie befinden sich in derselben Ebene wie die Planeten. Du würdest also den Blick in die Nähe der Ekliptik richten, wie wir diese Ebene nennen.«
    »Das ist aber ein statistisches Argument«, hielt er dagegen. »Es könnte sich doch um einen außergewöhnlichen Felsbrocken handeln.«
    »Das hält der Waage nicht stand.«
    »Saunt Gardans Waage ist eine nützliche Richtlinie. Alle möglichen realen Dinge halten ihr nicht stand«, bemerkte Arsibalt, »du und ich eingeschlossen.«
     
    Orolo saß bei uns. Es war das erste Mal seit einer Ewigkeit, dass ich mit ihm sprach. Er saß so, dass er durch ein Fenster auf die Berge schauen konnte, ziemlich genau in der Stimmung, in der ich ein paar Minuten zuvor zum Sternrund hinaufgeschaut hatte. Es war ein wolkenloser Tag, und die Gipfel stachen alle heraus, scheinbar so nah, als könnte man Steine nach ihnen werfen. »Ich frage mich, wie oben auf Blys Koppie heute Nacht die Sicht ist«, seufzte er. »Besser als hier auf jeden Fall!«
    »Ist das der Inselberg, auf dem die Dards Saunt Blys Leber gegessen haben?«, fragte ich.
    »Genau der.«
    »Ist der hier in der Nähe? Ich dachte, er läge auf einem anderen Kontinent oder so.«
    »O nein. Bly war ein Mann von Saunt Edhar! Das kannst du in der Chronik nachlesen – wir haben seine ganzen Reliquien irgendwo eingepökelt.«
    »Willst du damit wirklich andeuten, dass es dort ein Observatorium gibt? Oder nimmst du mich bloß auf den Arm?«
    Orolo zuckte die Achseln. »Ich habe keine Ahnung. Estemard hat dort ein Teleskop gebaut, nachdem er seinem Eid abgeschworen hatte und aus dem Tagestor hinausgestürmt war.«

    »Und Estemard ist …«
    »Einer meiner beiden Lehrer.«
    »Und Paphlagon ist der andere?«
    »Ja. Sie hatten beide ungefähr zur selben Zeit die Nase von hier voll. Estemard ging, Paphlagon trat eines Abends nach dem Essen in das obere Labyrinth, und danach sah ich ihn ein Vierteljahrhundert nicht mehr, bis – na, du weißt schon.« Ihm fiel etwas ein. »Was hast du eigentlich während Paphlagons Evokation gemacht? Zu der Zeit warst du doch noch Gast von Autipete.«
    Autipete war eine Gestalt aus der alten Mythologie, die sich an ihren Vater herangeschlichen und ihn im Schlaf geblendet hatte. Ich hatte nie gehört, dass jemand Suur Trestanas so nannte. Ich biss mir auf die Lippe und schüttelte konsterniert den Kopf, während Arsibalt Suppe durch seine Nasenlöcher hinausblies. »Das ist ungerecht«, sagte ich, »sie führt nur Befehle aus.«
    Orolo nahm Kampfstellung ein, um mich zu ebnen. »Weißt du, während des Dritten Vorboten war es durchaus üblich, dass diejenigen, die schreckliche Verbrechen begangen hatten, sagten …«
    »Sie hätten nur Befehle ausgeführt, das wissen wir alle.«
    »Fraa Erasmas leidet unter dem Saunt Alvars Syndrom«, sagte Arsibalt.
    »Während des Dritten Vorboten haben diese Leute mit Bulldozern Kinder in Öfen geschoben«, sagte ich. »Und was Saunt Alvar betrifft – nun, der war der einzige Überlebende seines Konzents in der Dritten Verheerung und wurde drei Jahrzehnte lang gefangen gehalten. Die Tür zu den Teleskopen ein paar Wochen lang zu verriegeln, entspricht dem nicht ganz, oder?«
    In dem Punkt gab Orolo augenzwinkernd nach. »Meine Frage bleibt bestehen. Wo warst du während des Vokos?«
    Natürlich hätte ich es ihm liebend gerne erzählt. Das tat ich auch – aber in einen Scherz gekleidet. »Als gerade niemand hinschaute, bin ich zum Sternrund hinaufgerannt, um Beobachtungen anzustellen. Leider stand die Sonne am Himmel.«
    »Dieses verdammte Lichtgestirn!«, zischte Orolo. Dann schoss ihm etwas durch den Kopf. »Aber du weißt, dass unsere Geräte auch bei Tageslicht manche Dinge sehen können, wenn sie sehr hell sind.«
    Da Orolo beschlossen hatte, meinen Scherz aufzugreifen, wäre es nicht fair von mir gewesen, ihn an diesem Punkt fallen zu lassen.
»Leider zeigte das M & M in die falsche Richtung«, sagte ich. »Mir fehlte die Zeit, es herumzuschwenken.«
    »Die falsche Richtung wofür ?«, fragte Orolo.
    »Um mir etwas Helles anzuschauen – einen Planeten oder …« Ich geriet ins Stocken.
    Jesry setzte sich mit dem Gesicht zu mir und Orolo an einen leeren Tisch in der Nähe, rührte sich nicht und ignorierte das Essen. Wäre er ein Wolf gewesen, wären seine Ohren aufgestellt und in unsere Richtung gedreht gewesen.
    Orolo sagte:

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