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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Das gab mir Zeit festzustellen, dass ich weder einen Plan noch irgendetwas zu sagen hatte. Da ich aber mit Suur Ala aufgewachsen war und wusste, wie sie auf Dinge reagierte, schätzte ich, dass ich nicht falsch liegen konnte, wenn ich um Erlaubnis bat. »Ala, ich würde dir die hier gerne geben, falls es dich nicht umbringen würde.«
    Zumindest eine von beiden holte tief Luft. Keine erhob Einwände. Der Raum war größer, als ich ihn mir vorgestellt hatte, aber so mit Balken und Wellen vollgestopft, dass ich nicht sicher war, ob ich aufstehen konnte, weshalb ich auf Knien zu ihnen hinüberrutschte. Etwas streifte an mir vorbei – eine Fledermaus? Doch als ich das nächste Mal – einige Zeit später – die Personen in dem Raum zählte, waren wir nur noch zu zweit. Tulia musste sich wie ein Raumschiffkapitän in einem Spulo wegteleportiert haben.
    »Danke«, sagte Ala – zurückhaltend. »Hast du sie durch den Regelwarthof hierhergebracht? Ich vermute, ja.«
    »Das habe ich«, sagte ich. »Warum?« Obwohl ich bereits wusste, warum.
    »Diese da ist Saunt Chanderas Verderben, stimmt’s?«

    »Saunt Chanderas Verderben hat um diese Jahreszeit herum eine bizarr aussehende Blüte, die ich einfach schön finde.« Ich schickte mich an, einen Vergleich zu Alas Erscheinung zu ziehen, zögerte jedoch, weil ich nicht wusste, wie ich den Teil über ihr gewissermaßen bizarres Aussehen formulieren sollte.
    »Sie gehört aber zu den Elf!«
    »Das ist mir bewusst«, sagte ich und verspürte eine leichte Anspannung, weil sie, nur um einen Streit anzufangen, meinen Vergleich unterbrochen hatte. »Ich habe sie dazugenommen, weil sie verboten ist. Und dieses Ding zwischen dir und mir – das Chaos, das ich angerichtet habe – hat mit etwas anderem zu tun, das auch verboten ist.«
    »Ich kann nicht glauben, dass du das vor den Augen der Inquisition einfach hier heraufgetragen hast.«
    »Schön. Jetzt, wo du es sagst, es war ziemlich blöd.«
    »Das war nicht das Wort, das ich benutzen wollte«, sagte sie. »Danke, dass du sie mir gebracht hast.«
    »Gern geschehen.«
    »Wenn du dich neben mich setzt, werde ich dir etwas zeigen, was du garantiert nie erwartet hättest«, sagte sie. Und hier, da war ich mir ziemlich sicher, gab es keine Zweideutigkeit. Bis ich mich an Tulias Platz niedergelassen hatte, war Ala bereits aufgestanden – sie konnte wenigstens hier drin stehen – und hatte sich zu der Falltür hinübergetastet, die Tulia offen gelassen hatte. Ala machte sie zu. Sie setzte sich neben mich und löschte ihr Licht. Jetzt war es hier drin vollkommen dunkel. Das heißt, außer einem einzigen weißen Lichtklecks, etwa so groß wie Alas Handfläche, der genau vor uns im Raum zu schweben schien. Ich nahm an, dass das kein Zufall war; die Mädchen hatten wegen des Lichtkleckses hier gesessen. Ich streckte meine rechte Hand aus (die linke war merkwürdigerweise nicht einsatzfähig, da sie irgendwie auf Alas linker Schulter gelandet war) und erforschte ihn. An der Wand lehnte ein Brett mit einem daran festgehefteten leeren Blatt, und der Lichtklecks wurde auf dieses Blatt projiziert. Jetzt, wo meine Augen sich angepasst hatten, konnte ich sehen, dass der Klecks rund war. Absolut kreisrund sogar.
    »Erinnerst du dich an die totale Sonnenfinsternis von 3680, als wir eine Camera obscura gebaut hatten, damit wir sie sehen konnten, ohne uns die Augen zu verbrennen?«

    »Ein Kasten«, entsann ich mich, »mit einem Loch auf der einen und einem weißen Blatt Papier auf der anderen Seite.«
    »Tulia und ich haben hier oben Frühjahrsputz gemacht«, sagte sie. »Dabei bemerkten wir diese Sonnenlichtflecken, die auf dem Boden und an den Wänden umherglitten. Sie fielen durch eine alte Öffnung hoch oben in der Wand, da drüben.« Während sie, für mich kaum sichtbar, ins Dunkle zeigte, drehte sie sich etwas und kam danach irgendwie noch näher bei mir zu sitzen. »Wir glauben, dass man sie zur Belüftung des Raums dort eingebaut, sie dann aber mit Brettern zugenagelt hat, weil Fledermäuse hereinkamen. Das Licht sickerte durch Ritzen zwischen den Brettern. Wir haben sie wieder dicht gemacht – nahezu.«
    »Und dieses ›nahezu‹ ist ein hübsches, niedliches kleines Kameraloch?«
    »Genau, und dann haben wir den Schirm dort aufgestellt. Den wir selbstredend, entsprechend der Bewegung der Sonne am Himmel, verschieben müssen.«
    Ala konnte wie niemand anderer das Wort selbstredend in einem ansonsten höflichen Satz unterbringen. Mehr als

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