Anathem: Roman

hindurchflog – um seine Spuren zu verbergen.«
    »Wie ein Flüchtiger, der in einem Fluss läuft, um keine Fußspuren zu hinterlassen«, warf Barb ein.

    »Gestern hat sich jedoch etwas verändert. Da muss etwas Großes geschehen sein.«
    »Gardans Waage sagt, dass es zwischen dem Kurswechsel, den du und Ala wahrgenommen habt, und dem noch nie dagewesenen sechsfachen Voko weniger als einen Tag später einen Zusammenhang geben muss«, sagte Arsibalt.
    Ich war der heiligen Reliquie aus dem Weg gegangen. Das musste ein Ende haben. Ala hatte sie mir nicht ohne Grund gegeben. Wir rollten sie auf dem Tisch aus und beschwerten ihre Ecken mit Büchern.
    »Wir können nur herausfinden, was das Raumschiff getan hat, wenn wir die verdammte Geometrie kennen!«, beklagte sich Barb.
    »Du meinst, die des Kameralochs, und dann die Frage, wo der Schirm oben im Praesidium stand. Was oben war. Und was Norden«, sagte ich. »Ich stimme dir zu, dass wir all diese Messungen vornehmen müssen.«
    Barb machte bereits Schritte Richtung Ausgang – entschlossen, diese Messungen auf der Stelle vorzunehmen.
    Doch ich zögerte. Ich wollte diese Dinge genauso dringend in Angriff nehmen wie er. Aber das war so eine Stelle, an der Orolo etwas besonders Einfaches vorgeschlagen hätte. Etwas, was mir das Gefühl gegeben hätte, ein Idiot zu sein, weil ich es zu kompliziert gemacht hatte. So etwas wollte mir partout nicht einfallen.
    »Warum messen wir nicht wenigstens den Winkel«, sagte ich. »Das Raumschiff kommt aus einer Richtung herein. Das ist seine ursprüngliche Umlaufbahn. Es beschreibt Kurven, bis es sich in eine andere Richtung bewegt. Das ist schließlich seine neue Umlaufbahn. Diesen Winkel könnten wir zumindest messen.«
    Das taten wir. Das Ergebnis war so etwas wie ein Viertel von pi – fünfundvierzig Grad.
    »Wenn wir also davon ausgehen, dass es sein Manöver in einer polaren Umlaufbahn begann, dann war es am Ende in einer neuen Umlaufbahn, ungefähr zwischen polar und äquatorial«, sagte Lio.
    »Und was könnte das deiner Meinung nach für einen Sinn haben?«, fragte ich, da Lio ja über außeratmosphärische Waffensysteme so viel wusste wie sonst niemand im Raum.
    »Wenn man seine Bodenspur auf einem Globus oder einer Weltkarte aufzeichnet, nun, dann wird sie in einer solchen Umlaufbahn nie höher als auf fünfundvierzig Grad geographischer Breite steigen.
Sie wird sich sinusförmig zwischen fünfundvierzig Grad nördlicher und fünfundvierzig Grad südlicher Breite hin und her bewegen.«
    »Also genau da, wo neunundneunzig Prozent der Bevölkerung leben«, bemerkte Tulia.
    »Was sie inzwischen wissen dürften, da sie ja genug Zeit hatten, jeden Quadratzoll von Arbre auf einer Landkarte zu verzeichnen«, erinnerte uns Arsibalt.
    »Sie sind jetzt am Ende von Phase eins: Aufklärung«, schloss Lio, »und gestern hat Phase zwei begonnen: das heißt – wer weiß es?«
    »Tatsächlich irgendetwas zu tun«, sagte Barb.
    »Und die Zampanos wissen das«, sagte ich. »Hab mir Gedanken darüber gemacht. Sie hatten schon seit Monaten einen fertigen Notfallplan – das wissen wir, weil Orolos Name auf dieser Liste stand! Sie muss also vor seinem Anathem geschrieben und versiegelt worden sein.«
    »Ich wette, Varax und Onali haben sie Statho während der Apert überreicht«, sagte Tulia. »Statho hat sie seitdem die ganze Zeit mit sich herumgetragen und auf das Zeichen gewartet, das Siegel aufzubrechen und diese Namen vorzulesen.« Sie bekam einen abwesenden Gesichtsausdruck. »Es beunruhigt mich, dass sie Ala ausgewählt haben.«
    »Ich habe erst letzte Woche richtig verstanden, wie nah ihr beide euch wart«, sagte ich.
    Aber davon wollte Tulia nichts wissen. »Es ist nicht nur das«, sagte sie. »Ich meine, das auch . Ich liebe sie. Ich kann es nicht ertragen, dass sie weg ist. Aber warum sie? Paphlagon – Orolo – Jesry – gut. Das verstehe ich. Aber warum würdet ihr Ala wählen? Wozu würdet ihr jemanden wie sie haben wollen?«
    »Um eine Menge anderer Leute zu organisieren«, sagte Arsibalt wie aus der Pistole geschossen.
    »Genau das«, sagte Tulia, »macht mir Sorgen.«
     
    Um Gottes willen, heb den Blick …
    Die Erwähnung der Inquisitoren hatte mich an das Gespräch mit Varax in der Zehnten Nacht erinnert. Dessentwegen, was sich kurze Zeit später ereignet hatte, war es mir zunächst wieder entfallen. Ich konnte mich jedoch entsinnen, wie er zum Sternrund aufschaute – vielleicht hatte er seinen Blick auch noch etwas