Anathem: Roman
da im Alleingang handelte …«
»Damit sie später leugnen konnten, irgendetwas damit zu tun zu haben«, sagte Sammann, »wenn die Zeit gekommen wäre, hart durchzugreifen.«
»Ich bezweifle, dass sie das so vorsätzlich geplant hatten«, warf Fraa Jad ein, wobei er einen sanften Ton anschlug, während Sammann und ich hitzig geworden waren – verschwörerisch. »Lasst uns den Rechen hervorholen«, fuhr Jad fort. »Die Säkularen Machthaber hatten Radar, aber keine Bilder. Um Bilder zu bekommen, brauchten sie Teleskope und Leute, die sie zu benutzen verstanden. Die Hierarchen wollten sie nicht einweihen. Also erdachten sie die Strategie, die Sammann uns gerade erläutert hat. Sie war nur ein Mittel, um möglichst schnell und lautlos ein paar Bilder von dem Ding zu erhalten. Als sie jedoch die Bilder bekamen, sahen sie das.« Dabei legte er eine Handfläche auf den Beweis in seinem Schoß.
»Und dann wurde ihnen bewusst, dass sie einen Riesenfehler gemacht hatten«, sagte ich in einem viel ruhigeren Ton als vorher. »Sie hatten die Existenz und Eigenart der Cousins ausgerechnet den
Leuten enthüllt, von denen sie am allerwenigsten wollten, dass sie davon erführen.«
»Daher die Schließung des Sternrunds und das, was Orolo widerfuhr«, sagte Sammann, »und ich in diesem Hol, obwohl ich keine Ahnung habe, was sie mit mir werden anstellen wollen.«
Bis jetzt hatte ich angenommen, dass Sammann die Erlaubnis bekommen hatte, auf diese Reise zu gehen. Dies war mein erster Hinweis darauf, dass es komplizierter war. Mit Verwunderung hörte ich, dass ein Ita Angst davor äußerte, in Schwierigkeiten zu geraten, denn normalerweise waren wir es, die sich vor ihren raffinierten Tricks fürchteten – wie dem, der Orolo eingewickelt hatte. Doch dann schwenkte meine Perspektive um, und ich sah es auf seine Weise. Genau weil die Leute diese Auffassung von den Ita hatten, würde wohl niemand Sammanns Geschichte Glauben schenken oder sich für ihn stark machen, wenn all diese Machenschaften ans Licht kämen.
»Dann hast du also diese Kopie der Tafel gemacht und behalten, damit dir …«
» Etwas blieb«, sagte er, »das ich als Druckmittel einsetzen könnte.«
»Und du zeigtest dich im Auge der Clesthyra. Wo du auf eine Weise kundtatest, dass du etwas wusstest – dass du Informationen hattest, die jederzeit abgestritten werden konnten.«
»Reklame«, sagte Sammann, und die Kontur seines Gesichts veränderte sich, Barthaare verschoben sich auf Barthaaren – seine Art, ein Lächeln anzudeuten.
»Nun, es hat funktioniert«, sagte ich, »und jetzt bist du hier, auf der Straße nach Nirgendwo, chauffiert von einem Haufen Deolatisten.«
Cord hatte genug von dem vielen Orth und rutschte neben Rosk auf den Beifahrersitz des Hols. Es tat mir leid – aber manche Dinge waren in Fluckisch fast nicht zu besprechen.
Ich brannte darauf, Fraa Jad nach dem atomaren Abfall zu fragen, zögerte aber, dieses Thema vor Sammann anzuschneiden. Also zog ich meine eigene Kopie des Beweises vom Raumschiff der Cousins heraus und begann daran zu arbeiten. Schon nach kurzer Zeit hatte ich mich festgefahren. Cord und Rosk fingen an, über die Lautsprecheranlage des Hols Musik abzuspielen, zunächst leise und, als niemand protestierte, lauter. Es war sicher das erste Mal, dass Fraa Jad populäre Musik hörte. Ich krümmte mich so heftig zusammen,
dass ich fürchtete, innere Verletzungen davonzutragen. Der Tausender dagegen nahm sie ebenso gelassen hin, wie er den Dynogleit-Feuchtstreifen hingenommen hatte. Ich gab den Versuch auf, an dem Beweis zu arbeiten, schaute einfach aus dem Fenster und lauschte der Musik. Trotz all meiner Vorurteile gegen die extramurische Kultur war ich doch immer wieder erstaunt über Momente der Schönheit in diesen Songs. Die meisten davon konnte man vergessen, aber einer von zehn enthielt irgendeine Wendung oder Modulation, die belegte, dass die Person, die ihn geschrieben hatte, zu einer Art von Draufsicht gelangt war – es für einen kurzen Moment kapiert hatte. Ich fragte mich, ob das eine repräsentative Auswahl war oder ob Cord es nur ungewöhnlich gut verstand, Stücke mit einer gewissen Schönheit zu finden und nur die auf ihr Nicknack zu laden.
Die Musik, die Hitze des Nachmittags, das Rütteln des Hols, mein Schlafdefizit und der Schock, den Konzent verlassen zu müssen – da das alles mich auf einmal traf, war es kein Wunder, dass ich nicht an einer Beweisführung arbeiten konnte. Als aber der Tag zur Neige
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