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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Rücken zur Wand hinter deinem Doyn.«
    »Das ist ja entsetzlich«, sagte ich. »Ich glaube fast, du willst mich auf den Arm nehmen.«
    »Zuerst konnte ich es selbst nicht glauben«, sagte Lio lachend. »Bin mir wie der reinste Bauer vorgekommen. Aber das System funktioniert. Man hört Gespräche mit an, von denen man sonst nie etwas mitbekäme. Im Laufe der Jahre steigst du auf, wirst Doyn und bekommst dann deinen eigenen Servitor.«
    »Und wenn dein Doyn ein Idiot ist? Wenn es ein schlechtes Messale ist, bei dem jeden Abend die gleichen langweiligen Gespräche stattfinden! Man kann nicht aufstehen und sich an einen anderen Tisch setzen, wie wir das in Edhar tun!«
    »Ich möchte unser System nicht dagegen eintauschen«, sagte Lio. »Im Augenblick ist das nicht so ein Problem, weil die Leute, die zu einer Konvox eingeladen werden, in aller Regel ziemlich interessant sind.«
    »Wer ist denn dein Doyn?«
    »Sie ist Wehrwart eines kleinen Maths oben in einem Wolkenkratzer in einer Großstadt, die sich mitten in einem heiligen Krieg zwischen mehreren Sekten befindet.«
    »Interessant. Und wo ist dein Messallan?«
    Lio sagte: »Mein Doyn und ich wechseln jeden Abend zu einem anderen. Das ist ungewöhnlich.«
    »Hmm. Ich frage mich, wo sie mich wohl hinstecken.«
    »Genau deshalb musst du diese Bücher durcharbeiten«, sagte Lio. »Du kannst Ärger mit deinem Doyn kriegen, wenn du nicht vorbereitet bist.«
    »Worauf denn – ihm die Serviette zu falten?«
    »Es wird erwartet, dass du verstehst, wovon die Rede ist. Manchmal werden Servitoren sogar ins Gespräch einbezogen.«

    »Oh. Welche Ehre!«
    »Vielleicht ist es sogar eine große Ehre, je nachdem, wer dein Doyn ist. Stell dir vor, Orolo wäre dein Doyn.«
    »Ich hab’s kapiert. Aber das ist ja wohl nicht möglich.«
    Lio brütete eine Zeitlang, ehe er antwortete. »Da ist noch etwas«, sagte er mit leiser Stimme. »Der Aut des Anathem ist in Tredegarh seit fast tausend Jahren nicht mehr vollzogen worden.«
    »Wie kann das sein? Die Bevölkerung hier ist bestimmt zwanzigmal so groß wie die von Edhar!«
    »Die ganzen verschiedenen Kapitel und Dotate ermöglichen es Spinnern und Außenseitern, ein Zuhause zu finden«, sagte Lio. »Wir beide sind in einer harten Stadt groß geworden, mein Lieber.«
    »Werd mir jetzt bloß nicht weich.«
    »Das ist unwahrscheinlich«, sagte Lio, »wo ich doch jeden Tag mit Thalern trainiere.«
    Das erinnerte mich daran, dass er erschöpft war. »Hey! Bevor du gehst – noch eine Frage«, sagte ich.
    »Ja?«
    »Warum sind wir hier? Ist diese Konvox nicht ein leichtes Ziel?«
    »Ja.«
    »Eigentlich müssten sie sie aufgelöst haben.«
    »Ala ist damit beschäftigt«, sagte er, »genau dafür Notfallpläne zu erstellen. Aber noch ist keine entsprechende Anweisung erteilt worden. Vielleicht macht man sich Sorgen darüber, dass das wie eine Provokation aussehen könnte.«
    »Demnach – sind wir …«
    »Geiseln!«, sagte Lio fröhlich. »Gute Nacht, Raz.«
    »Nacht, Lio.«
    Trotz Lios Rat konnte ich mich nicht auf die Bücher konzentrieren, die man mir dagelassen hatte. Mir schwirrte der Kopf. Ich versuchte, wenigstens die Romane zu überfliegen. Sie waren leichter zu verstehen, aber ich konnte mir nicht erklären, warum man mich damit beauftragt hatte, solche Sachen zu lesen. Beim dritten kam ich bis Blatt zwanzig, und der Held sprang durch ein Portal in ein Paralleluniversum. Die anderen beiden Romane hatten sich ebenfalls um Szenarien mit Paralleluniversen gedreht, woraus ich schloss, dass ich über dieses Thema nachdenken sollte und dass die anderen Bücher wohl auch damit zu tun hatten. Aber ganz plötzlich beschloss mein Körper, dass es Zeit zum Schlafen war, und ich
konnte gerade noch zum Bett hinüberwanken, ehe ich das Bewusstsein verlor.
     
    Ich erwachte von einem seltsamen Wechselläuten und davon, dass Tulia meinen Namen rief. Auf nicht sehr fröhliche Weise. Einen Moment lang bildete ich mir ein, ich wäre wieder in Edhar. Aber als ich ein Auge öffnete – bloß einen Spalt weit – sah ich nur Modul.
    »Mein Gott!«, rief Tulia aus erschreckend kurzem Abstand. Während ich endgültig wach wurde, sah ich sie am Fußende meines Bettes stehen. Kein Schutzanzug. Ihr Gesichtsausdruck war so, als sähe sie mich ausgestreckt im Rinnstein vor einem Bordell liegen. Ich tastete ein bisschen herum und vergewisserte mich, dass ich größtenteils von meiner Kulle bedeckt war.
    »Was hast du denn für ein Problem?«, murmelte ich.
    »Du

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