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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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musst dich sofort in Bewegung setzen! Auf der Stelle! Sie warten mit der Embrase auf dich!«
    Das klang ernst, also wälzte ich mich aus dem Bett und folgte ihr eilends aus dem Modul. Die Luftschleuse war abgerissen worden; wir trampelten über das Plastik. Tulia lief mir voran über den Hof, unter einem Bogen hindurch und irgendeine uralte mathische Katakombe entlang, deren anderes Ende mit einem eisernen Gitter abgesperrt war – eine Barriere, wie man sie verwendete, um einen Math vom anderen zu trennen. Es war mit einer Pforte versehen, die von einem nervös wirkenden Fid aufgehalten wurde, der sie scheppernd hinter uns zuwarf, nachdem wir durch sie hindurch in eine lange, gerade Gasse gestürzt waren, die auf beiden Seiten von Reihen riesiger Seitenbäume gesäumt wurde. Die Gasse führte also mitten durch einen ganzen Wald von ihnen.
    Vom Schuhetragen waren meine Füße empfindlich geworden, und ich trippelte fortwährend über Steine und Wurzelstöcke, sodass Tulia schneller war als ich. Auf der anderen Seite wurde der Seitenbaumwald von einer Steinmauer begrenzt, etwas über dreißig Fuß hoch und durchbrochen von einem wuchtigen Bogen, wo sie stehen blieb, um Atem zu schöpfen und auf mich zu warten.
    Während ich näher kam, wandte sie sich mir zu und hob die Arme. Ich drückte sie so fest an mich, dass ich sie vom Boden hochhob, und aus irgendeinem Grund brachen wir beide in Gelächter aus. Das war der Grund, warum ich sie so mochte. Sie war von allen, denen ich begegnet war, die einzige, die mit etwas anderem als
Trauer auf Orolos Tod reagierte. Nicht, dass sie nicht traurig war. Aber sie war stolz auf ihn, dachte ich, begeistert von dem, was er getan hatte, froh darüber, dass ich überlebt hatte und zurückgekehrt war, um wieder mit meinen Freunden zusammen zu sein.
    Dann rannten wir wieder: Unter dem Bogen hindurch auf ein gewelltes, mit Gehölzen aus großen alten Bäumen bestandenes Grün, das sich meilenweit hinzuziehen schien. Alle paar hundert Fuß erhoben sich steinerne Gebäude, die durch ein Netzwerk von Pfaden verbunden waren. Das mussten die Dotate und Kapitelhäuser sein, von denen Lio gesprochen hatte. Die Rasenflächen beeindruckten mich stärker als alles andere; in Edhar konnten wir es uns nicht leisten, Boden auf diese Weise ungenutzt zu lassen.
    Die Glocken wurden geringfügig lauter. Als wir um die Ecke eines besonders riesigen Gebäudes – so etwas wie ein Komplex aus Klostrum und Bibliothek – bogen, kam endlich der Fels in Sicht. Tulia führte mich zu einer breiten, von Bäumen gesäumten Gasse, die uns geradewegs hinführen würde. Dann konnte ich den am Fuß des Felsens massierten Mynsterkomplex sehen.
    Der Fels hatte sich gebildet, als die Westwand einer ungefähr dreitausend Fuß hohen Granitkuppel abgerutscht war. Avot hatten das Durcheinander am Boden aufgeräumt und die losen Teile dazu verwendet, Gebäude und Mauern zu errichten. Da kein künstlicher Uhrturm mit dem Fels konkurrieren konnte, hatten sie ihr Mynster am Fuß des Felsens gebaut, dann Tunnel, Galerien und Simse in den Granit darüber gehauen und den Fels so zu ihrer Uhr gemacht oder umgekehrt. Im Laufe der Jahrtausende war eine Vielzahl von Zifferblättern gebaut worden, jedes höher und größer als das vorangehende, und alle zeigten sie noch immer die Zeit: Alle zeigten, dass ich spät dran war.
    »Embrase«, keuchte ich, »das ist …«
    »Deine offizielle Einführung in die Konvox«, sagte Tulia. »Jeder muss sie durchlaufen – das förmliche Ende deiner Peregrination – wir haben das schon vor Wochen getan.«
    »Viel Aufwand für einen einzigen Nachzügler.«
    Sie lachte ein einziges Mal schrill auf, ehe der Luftmangel den Laut abreißen ließ. »Bilde dir bloß nichts ein, Raz! Wir veranstalten das hier einmal die Woche. Es sind noch hundert andere Peregrins aus acht verschiedenen Mathen da – und alle warten auf dich!«
    Die Glocken hörten zu läuten auf – ein schlechtes Zeichen.
Wir wurden schneller und rannten schweigend ein paar hundert Schritte.
    »Ich dachte, alle hier sind schon vor längerer Zeit gekommen!«, sagte ich.
    »Nur die aus den großen Konzenten. Du würdest nicht glauben, wie abgelegen manche sind. Wir haben sogar eine Gruppe Matarrhiten da!«
    »Ich bin also bei den Deolatisten, was?«
    Ich gewann den Eindruck, dass die Kapitelhäuser, die dem Mynster am nächsten lagen, die ältesten waren: Ring auf Ring aus Klostrum, Galerie, Wandelgang und Hof. Durch mathische Tore und

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