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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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ihr aufnehmen, wenn ich müsste«, sagte sie, »aber ich habe es nicht versucht.«
    »Du hattest zu tun«, sagte ich.
    »Ja. Als deine Zelle in den Raum geschossen wurde, ist Ala zu einer wirklich wichtigen Person geworden. Und hat richtig zu tun bekommen.«
    »Tja … Ich hoffe, sie beschäftigt sich damit rauszukriegen, was wir machen, wenn wir dort sind.«
    »Das tut sie ganz bestimmt«, sagte Tulia. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ernst Ala ihre Verantwortung für das nimmt, was sie – was passiert ist.«
    »Doch, ich habe eine ziemlich gute Vorstellung davon«, sagte ich, »und ich weiß, sie macht sich Sorgen, dass wir alle dabei ums Leben kommen. Aber wenn sie sehen könnte, wie gut die Zelle zusammenarbeitet, würde sie Mut fassen.«
     
     
    Wir fielen abermals hinter Arbre. Ich hatte längst den Überblick darüber verloren, wie oft wir in den Sichtbereich der Daban Urnud gelangt waren und ihn wieder verlassen hatten. Die anderen schnallten sich an dem Schubdüsengerüst unter dem Kalten Schwarzen Spiegel fest. Ich befand mich unterhalb der Attrappe und hakte die letzten siebzehn Punkte einer Checkliste ab, die zweihundert Zeilen lang war.
    »Ziehe die Aufblasleine«, verkündete ich und tat es. »Schon passiert.« Im Raum konnte ich das Zischen von entweichendem Gas nicht hören, aber ich spürte es in der Hand, mit der ich mich am Rahmen der Attrappe festhielt.
    »In Ordnung«, sagte Lio.
    »Überwache Aufblasvorgang«, las ich leicht benommen die nächste Zeile Technoscheißdrökh ab. Das schlaffe Bündel aus bemaltem Stoff, das wir den ganzen letzten Tag als Abfallbehälter verwendet hatten, rührte sich und begann etwas Rückgrat zu zeigen, während Innenstreben sich mit Gas füllten und versteiften. Eine Zeitlang hatte ich Angst, dass es nicht klappte – dass das Gas nicht reichte
oder etwas dergleichen -, aber im Laufe weniger Sekunden entfaltete sich das Ding komplett.
    »Status?«, wollte Lio wissen. Unter dem Spiegel konnte er nichts sehen.
    »Es ist so schön, dass ich wünschte, ich könnte reinklettern und damit losfliegen.«
    »In Ordnung.«
    »Beginne visuelle Überprüfung«, sagte ich. Ich verbrachte eine Minute damit, an dem Ding herumzukraxeln und seine Origami-»Feinsteuerraketen«, seine papierleichten, aus Memorydraht und Polyfilm bestehenden Antennen, seine handgemalten »Verbrennungsspuren« und andere Wunder der Bühnenbildnerei zu bewundern, mit denen sich Laboratorien bei der Konvox wochenlang abgemüht haben mussten. Ich fand eine »Feinsteuerrakete«, die sich nicht entfaltet hatte, und stupste sie mit meinen Skelettfingern an, sodass sie prall wurde. Schlug leicht auf eine Strebe mit Falten, bis sie sich richtig aufblies. Schnipste einen anhaftenden Streifen Küchenpapier weg. »Sieht gut aus«, verkündete ich.
    »In Ordnung.«
    Bei den restlichen Punkten auf der Liste ging es im Wesentlichen um Ventilöffnungs- und Drucküberprüfungen unten bei den Triebwerken. Mir war bewusst, dass ein Installationsfehler hier mich umbringen würde, aber ich musste das erledigen.
    »Zehn Minuten bis Sichtverbindung.«
    Der letzte Schritt bestand darin, einen Zeitgeber auf fünf Minuten einzustellen und den Countdown einzuleiten. Ich hatte noch Lios letztes »In Ordnung« in den Ohren, als ich einen kräftigen Ruck an meiner Sicherheitsleine spürte: Osa holte mich ein. Ein paar Sekunden später befand ich mich unter dem Spiegel, und die anderen schnallten mich fest, als wäre ich ein mordlustiger Irrer, den sie den ganzen Tag gejagt hatten. Die gesamte Kommunikation war zu einer Reihe von Prüflisten-Punkten und knappen Ankündigungen degeneriert.
    »Acht Minuten bis Sichtverbindung.« Die Luftsäcke meines Anzugs füllten sich. Licht flammte auf, als sich die Triebwerke des Spiegels einschalteten, und ich spürte den Schub gegen meinen Rücken. Wie üblich zeigten unsere Gesichter in die falsche Richtung, weshalb wir nicht sehen konnten, dass sich irgendetwas tat. Diesmal aber konnten wir auf eine Spulo-Übertragung zurückgreifen und
waren so imstande zu verfolgen, wie der Ballon und die Attrappe in der Ferne verschwanden. Bis der Fünf-Minuten-Zeitmesser abgelaufen war, befand sich die Attrappe schon so weit weg, dass wir nichts von ihr sehen konnten bis auf ein einzelnes blauweißes Pixel, als ihre Triebwerke zündeten.
    Einige Minuten nach Beginn ihrer Brennphase konnten auch die Geometer sie sehen. Denn dann hatte die Umlaufbahn der Daban Urnud sie wieder in

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