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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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ein gelegentliches Nach-oben-Schießen mit einem gelassenen Schlenker aus dem Handgelenk, schwärmten aus, während sie verschiedenen Teilen des Weltenverbrennerkomplexes zustrebten, und glitten mit so etwas wie sinistrer Schönheit über die glänzend purpurblaue Geröllebene. Wir konnten sie nur als Silhouetten vor den Lichtern des weitläufigen Komplexes sehen – und auch das nur in den ersten Momenten ihres Fluges. Dann waren sie für uns so unsichtbar wie für die Geometer in Raumanzügen, die um die Bombe herumwimmelten.
    Lio verkündete: »Wir haben vielleicht nur ein paar Minuten, um reinzukommen und irgendetwas zum Atmen zu finden, bevor uns jede Tür in der Daban Urnud verschlossen ist.«
    »Was ist mit den Thalern?«, fragte Arsibalt.
    »Ich denke, es wäre das Klügste, davon auszugehen, dass sie und jeder, der am Weltenverbrenner arbeitet, so gut wie tot sind«, sagte Lio nach kurzem Nachdenken.
    »Sie greifen jetzt an?«, fragte ich.
    »Sie entern ihn jetzt«, sagte Lio.
    Oder – genau genommen – erinnerte mich Lio. Denn wir hatten diese Eventualität besprochen. »Was ist, wenn wir in Sichtweite des Weltenverbrenners kommen und Anzeichen dafür erkennen, dass die Geometer im Begriff stehen, ihn einzusetzen?«
    »Ja nun, das würde natürlich alles ändern, und wir müssten uns unverzüglich für eine ganz andere Planvariante entscheiden!« Ich wusste, wir waren diesen Fall durchgegangen. Aber im Kopf hatte ich ihn unter der Kategorie »Eintrittswahrscheinlichkeit höchst gering, daher getrost zu vergessen« abgelegt. Lio jedoch hatte es nicht vergessen. »Wenn die Thaler unbemerkt an Bord des Weltenverbrenners gelangen können, werden sie sich verstecken und bis unmittelbar
vor dem Zuendegehen ihres Sauerstoffvorrats keine weiteren Maßnahmen ergreifen. Das soll uns anderen Zeit verschaffen, einen Weg hinein zu finden. Aber wenn der Weltenverbrenner zum Einsatz kommt – oder wenn jemand sie sieht und Alarm schlägt – tja …«
    »Dann passieren üble Sachen«, fauchte Jesry.
    »Wir haben also vielleicht ein wenig Zeit, vielleicht aber auch nicht«, sagte ich.
    »Das heißt, wir sollten so vorgehen, als hätten wir überhaupt keine«, gab Lio zurück. »Jules?« Denn der Laterraner schwieg schon seit geraumer Zeit. »Bist du noch dabei?«
    »Entschuldigung«, gab Jules zurück. »Ich bin verblüfft, wenn ich an den verheerenden Schaden denke, den unsere Freunde vom Klingenthal demnächst anrichten werden. Es ist ein unvorstellbarer Alptraum für den Sockel, die schlimmste Demütigung, die sie in eintausend Jahren erlitten haben. Ich bin in meiner Loyalität hinund hergerissen, wisst ihr.«
    »Ganz gleich, wie groß dein innerer Konflikt ist«, sagte ich, »du kannst unmöglich etwas dagegen haben, dass der Weltenverbrenner zerstört wird, oder?«
    »Nein«, sagte Jules sanft, aber bestimmt. »In diesem Punkt sind meine Gefühle eindeutig. Wie traurig, wenn einige von denen, die daran arbeiten, ums Leben kommen! Aber wenn man an einer so fürchterlichen Vorrichtung arbeitet …« Er beendete den Satz nicht, aber ich wusste, dass er in seinem Raumanzug die Achseln zuckte.
    »Hauptsächlich geht es dir also darum, dass keine Allestöter in die Daban Urnud gelangen«, sagte ich.
    »Das stimmt auf jeden Fall.«
    Lio mischte sich ein: »Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sagen würde, aber: Bring uns zu eurem Anführer.«
    »Wie bitte?«
    »Zeig uns den Weg zu den Urnudern. Dann ist deine Arbeit erledigt. Du kannst nach Hause gehen und etwas Anständiges essen.«
    »Was man von uns nicht behaupten kann«, ließ sich Arsibalt vernehmen.
    »Ja«, sagte Jules. »Eine ziemliche Ironie. Nichts zu essen für euch. Jedenfalls nicht hier!«
    »Also«, sagte Lio, »wie entscheidest du dich?« Wir alle teilten seine Ungeduld, wenn auch aus keinem anderen Grund als dem, dass uns die Atemluft ausging. Ich würde gern berichten, dass ich immer
noch besonnen dachte und auf alles, was mir durch den Verstand klapperte, den Rechen anwandte. In Wahrheit aber war ich benommen, verwirrt und – wenn das einen Sinn ergab – verletzt von dem plötzlichen Abgang von Osa, Vay, Esma und Gratho. Ich hatte natürlich gewusst, dass es diverse Notfallpläne gab. Hatte mir nie vorgemacht, sie alle kennen zu können. Aber ich hatte mir die ganze Zeit eingeredet, dass die Thaler bis zum Schluss bei uns sein würden. Bei unserer ersten Begegnung in dem Bus in Tredegarh hatte mich die Vorstellung entsetzt, dass man mich auf

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