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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Jad?
    »Ja, Fraa Erasmas?«
    »Was geschieht mit uns, nachdem wir gestorben sind?«
    »Darüber weißt du bereits genauso viel wie ich.«
    Zu diesem Zeitpunkt war das Gespräch unterbrochen worden, da man uns in den Raum gebracht hatte, in dem sich der Mann mit den langen Gewändern befand. Dass ich nichts von der urnudischen Kultur wusste, benachteiligte mich bei dem Versuch zu enträtseln, wer dieser Mann war. Der Raum bot keinerlei Hinweise. Es handelte sich um eine Sphäre mit flachem Boden wie ein kleineres Planetarium. Ich vermutete, dass er in der Nähe des geometrischen Zentrums der Kugel lag. Die Innenfläche war mattiert und schimmerte sanft von eingeleitetem Sonnenlicht. In der Mitte des kreisförmigen Bodens stand ein Stuhl, umgeben von einer ringförmigen Bank. Auf der Bank waren ein paar mit dampfenden Flüssigkeiten gefüllte Gefäße angeordnet. Im Übrigen war der Raum nichtssagend und schmucklos. Ich fühlte mich darin wie zu Hause.
    »Du hast gerufen, und wir sind gekommen.«
    Was würde Fraa Jad darauf sagen? Ein paar mögliche Antworten gingen mir durch den Kopf: Und wieso hat das so lange gedauert? Oder Wovon zum Teufel redest du eigentlich? Aber Fraa Jad antwortete auf scharfsinnig unverbindliche Weise, indem er sagte: »Dann bin ich gekommen, um euch willkommen zu heißen.«
    Der Mann drehte sich zur Seite und streckte einen Arm nach der kreisförmigen Bank aus. Die Gewänder entfalteten sich und wallten
wie ein Banner von seinem Arm herab. Sie waren im Wesentlichen weiß, aber kunstvoll verziert. Ich würde gern sagen, dass es sich um Brokat oder Stickerei handelte, aber ein Leben unter Kulle tragenden Asketen hatte dafür gesorgt, dass ich, was die dekorativen Künste anlangte, ein stark verkümmertes Vokabular besaß, weshalb ich einfach sage, dass sie phantastisch waren. »Bitte«, sagte der Mann, »wir haben Tee. Eine rein symbolische Gabe, da euer Körper nichts damit anfangen kann, aber …«
    »Wir trinken euren Tee sehr gern«, sagte Fraa Jad.
    Und so verfügten wir uns zu der kreisförmigen Bank und nahmen darauf Platz. Ich ließ Fraa Jad und unseren Gastgeber relativ nahe beieinandersitzen, sodass sie einander anschauten, und platzierte mich etwas weiter entfernt. Unser Gastgeber nahm seine Teetasse zur Hand und vollführte damit eine, wie ich vermutete, höflich zeremonielle Geste, die Fraa Jad und ich nachzuahmen suchten. Dann nippten wir alle daran. Es schmeckte weder schlechter noch besser als das, was »Zh’vaern« beim Messale gegessen hatte. Ich glaubte nicht, dass ich etwas davon mit nach Hause nehmen würde.
    Der Mann zog einige Blätter mit Aufzeichnungen aus einer Tasche seines Gewandes und konsultierte sie von Zeit zu Zeit, während er das Folgende von sich gab: »Ich heiße Gan Odru. In der Geschichte der Daban Urnud bin ich die dreiundvierzigste Person, die den Titel Gan trägt; Odru ist mein Vorname. Die genaueste Übersetzung von Gan in Orth ist ›Admiral‹. Das gibt die Bedeutung nur annäherungsweise wieder. In unserem Militärsystem war eine Klasse von Offizieren für die Bäume, die andere für den Wald zuständig.«
    »Also für Taktik beziehungsweise Strategie«, sagte Fraa Jad.
    »Genau. ›Gan‹ war der höchstrangige strategische Offizier, zuständig für die Leitung einer ganzen Flotte und zivilen Behörden verantwortlich, als es noch welche gab. Das Kommando über einzelne Schiffe übertrug der Gan taktischen Offizieren im Range eines Prag oder Kapitäns, wie ihr das nennen würdet. Ich entschuldige mich dafür, dass ich euch damit vielleicht langweile, aber so kann man die Art und Weise erklären, wie sich die Daban Urnud gegenüber Arbre verhalten hat.«
    »Es ist keineswegs langweilig«, sagte Fraa Jad und warf einen kurzen Blick in meine Richtung, um sich zu vergewissern, dass ich
meine Arbeit tat: die, soweit ich das sagen konnte, lediglich darin bestand, bei Bewusstsein zu bleiben.
    »Der erste Gan der Daban Urnud wurde mit der Aufgabe betraut, in einem anderen Sternensystem eine Kolonie zu gründen«, fuhr Gan Odru fort. »Während die Verbindungen zu Urnud mit zunehmender Entfernung immer dünner wurden, wuchsen ihm immer mehr Aufgaben zu, und er wurde zur obersten Autorität, die niemandem rechenschaftspflichtig war. Aber er war insofern eine seltsame Art von Gan, als seine Flotte aus nur einem Schiff und sein Stab demzufolge aus nur einem Prag bestand, und da der Prag keine wirklichen taktischen Entscheidungen zu treffen hatte – den Krieg

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