Anathem: Roman
Anhängern über die Ebene
schritt. Die beiden Schlusslichter hatten verschwörerisch die Köpfe zusammengesteckt – ein Hinweis auf Thelenes’ Prozess und rituelle Hinrichtung. Auf einem großen Gemälde von der Stadt konnte ich der Gruppe die auf dem höchsten Hügel gelegenen Tempel der Deolatisten zeigen, wo Thelenes hingerichtet worden war; den Markt, die Periklyne, die sich um den Fuß des Hügels wand; ein flaches, offenes, »die Ebene« genanntes Areal in der Mitte der Periklyne, wo Geometer Figuren in den Staub malten oder sich an öffentlichen Diskussionen beteiligten; und die Weinlauben an den Rändern, in deren Schatten manche Theoren ihre Fids unterrichteten, woraus das Wort suvin entstand, das »unter den Weinranken« bedeutet. Für die Nonne hatte sich schon wegen dieses einen Augenblicks der ganze Ausflug gelohnt.
Als wir langsam den Raum durchquerten, sahen wir immer mehr Theoren zur Rechten von Generälen und Kaisern stehen, was ohne weitere Umstände zur letzten der großen Kammern im Hyläischen Weg führte, in der sich alles um das ruhmreiche Baz drehte, seinen Tempel, sein Kapitol, seine Mauern, Straßen und Armeen, seine Bibliothek und (je näher wir dem anderen Ende kamen, umso mehr) seiner Arch. Ab einem bestimmten Punkt waren es Priester und Prälaten der Arch von Baz, die anstelle von Theoren jene Generäle und Kaiser berieten. Theoren musste man als kleine Gestalten ganz im Hintergrund suchen, die auf den Stufen der Bibliothek lagen oder ins Kapitol gingen, um weisen Rat in die tauben Ohren der Hochmütigen zu gießen.
Fresken, auf denen die Verheerung von Baz und die brennende Bibliothek zu sehen waren, flankierten den Ausgang: einen unangemessen schmalen, nüchternen Torbogen, den man hätte übersehen können, hätte da nicht die Statue von Saunt Kartas gestanden, die ein paar angesengte und zerfledderte Bücher im Arm hielt und uns mit einem Blick über die Schulter hinter sich zum Ausgang schickte. Dieser ging in einen hohen, schmucklosen Raum mit Steinwänden über, der nichts als Luft enthielt. Er symbolisierte den Rückzug in die Mathe und den Anbruch des Alten Mathischen Zeitalters, gemeinhin auf -1512 datiert.
Von dort verlief der Hyläische Weg in einer Schleife um das unarische Klostrum herum, und dann war er zu Ende. Auf der anderen Seite war noch Platz, wo eines Tages Ausstellungsstücke zum Aufstieg der Mystagogen, zur Wiedergeburt, zum Praxischen Zeitalter
und vielleicht sogar zu den Vorboten und den Schrecklichen Ereignissen hinzugefügt werden könnten. Die ganzen guten Sachen hatten wir jedoch gesehen, und das war üblicherweise das Ende der Tour.
Ich dankte ihnen allen, dass sie gekommen waren, ermunterte sie, noch einmal hineinzugehen, um sich das eine oder andere Stück genauer anzuschauen, erinnerte sie daran, dass sie alle zum Zehnte-Nacht-Abendessen eingeladen waren, und sagte ihnen, dass ich gerne Fragen beantworten würde.
Die Dards schienen sich einstweilen damit zufriedenzugeben, die Bilder vom Kampf der kaiserlich-bazischen Galeeren und dem Brand der Bibliothek zu genießen. Ein pensionierter Burgher kam zu mir und bedankte sich bei mir. Die Suvinkinder fragten, mit welchen Dingen ich mich in letzter Zeit beschäftigt hätte. Die beiden Besucher, die gerade noch rechtzeitig hereingehuscht waren, warteten, während ich versuchte, den Kindern gewisse theorische Inhalte zu erklären, von denen sie noch nie gehört hatten. Nach kurzer Zeit hatte die Nonne Erbarmen mit mir (oder vielleicht auch mit den Kindern) und drängte zum Aufbruch.
Die Nachzügler waren ein Mann und eine Frau, beide vermutlich im fünften Lebensjahrzehnt. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie durch eine Liaison verbunden waren. Beide hatten Bürokleidung an, waren also vielleicht Arbeitskollegen. An einer Kordel um den Hals hatten sie einen Blinker getragen, wie man ihn extramuros benutzte, um seine Identität nachzuweisen und Zutritt zu bestimmten Orten zu erhalten. Da so etwas hier nicht vonnöten war, hatten sie beide die Blinker in ihre Brusttaschen gesteckt. Sie waren dankbare Touristen gewesen, die sich ein wenig abseits der Gruppe gehalten und die Köpfe zusammengesteckt hatten, um kleine Details zu besprechen, die ihm oder ihr aufgefallen waren.
»Ich war fasziniert von deinen Bemerkungen über Knous’ Töchter«, verkündete der Mann. Sein Akzent verriet, dass er aus einem Teil dieses Kontinents stammte, wo die Städte größer waren und näher beisammen lagen als hier in
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