Anathem: Roman
Knous unter der Rubrik Märchen einzuordnen. Sie legen ein Lippenbekenntnis für Hyläa ab, aber nur wegen der Dinge, die sie symbolisiert, und weil sie nicht so schlecht war wie ihre Schwester. Ich glaube aber, dass sie von der Existenz der HTW ebenso wenig überzeugt sind wie von der eines Himmels.«
»Die Edharier dagegen schon?«
Die Frau warf ihm einen Blick zu, worauf er folgendes Zugeständnis machte: »Ich nenne die Edharier nur deswegen, weil wir uns ja schließlich hier im Konzent Saunt Edhar befinden.«
Wäre dieser Mann einer meiner Fraas gewesen, hätte ich jetzt offener sprechen können. Aber er war ein Säkular, merkwürdig gut informiert, und er benahm sich, als wäre er wichtig. Trotzdem hätte ich vielleicht irgendetwas ausgeplaudert, wäre es der erste Tag der Apert gewesen. Unsere Tore hatten aber zehn Tage lang offen gestanden: lange genug also, um ein paar primitive politische Reflexe zu entwickeln. So antwortete ich nicht für mich selbst, sondern für meinen Konzent. Genauer gesagt für den Orden der Edharier; denn alle edharischen Kapitel in anderen Konzenten auf der ganzen Welt betrachteten uns als ihre Mutter und hatten Bilder von unserem Mynster oben in ihren Kapitelsälen.
»Wenn du einen Edharier geradeheraus fragst, wird er es nur widerstrebend zugeben«, fing ich an.
»Warum? Noch einmal, dies ist der Konzent Saunt Edhar.«
»Er wurde aufgeteilt«, sagte ich zu ihm. »Nach der Dritten Verheerung wurden zwei Drittel der Edharier in andere Konzente verlegt, um Platz für einen Neuen Zirkel und ein Reformiertes Altes Faanitisches Kapitel zu machen.«
»Ah, die da oben haben einen Haufen Prokier hierhergeschickt, um euch im Auge zu behalten, stimmt’s?« Das veranlasste die Frau sogar, ihre Hand auszustrecken und auf seinen Unterarm zu legen.
»Du scheinst anzunehmen, dass ich Edharier bin«, sagte ich, »aber ich habe die Elikt noch nicht absolviert. Ich weiß nicht einmal, ob der Orden Saunt Edhar mich überhaupt aufnehmen wird.«
»Das hoffe ich für dich«, sagte er.
Die Unterhaltung war immer sonderbarer geworden und hatte jetzt einen Punkt erreicht, an dem ich kaum noch einen Weg nach vorn sehen konnte.
Zum Glück zog die Frau uns aus der Klemme: »Es ist nur so, dass wir angesichts der ganzen Vorgänge um den Himmelswart auf dem Weg hierher spekuliert haben, ob die Avot wohl einen Druck verspüren, ihre Ansichten zu ändern. Und wir haben uns gefragt, ob deine Auffassung von Deat und Hyläa womöglich einen gewissen säkularen Einfluss widergespiegelt hat.«
»Aha. Das ist ein interessanter Gedanke«, sagte ich. »Zufällig habe ich erst vor wenigen Tagen etwas von dem Himmelswart gehört.
Wenn also meine Auffassung von Deat und Hyläa überhaupt irgendwas widerspiegelt, dann das, worüber ich die letzte Zeit aus ganz persönlichen Gründen nachgedacht habe.«
»Na schön«, sagte der Mann und wandte sich ab. Die Frau sagte über die Schulter hinweg lautlos »Danke!« zu mir, bevor sie zusammen in Richtung Klostrum davonschlenderten.
Nicht lange danach begannen die Glocken zur Provene zu läuten. Ich ging über das Gelände der Unarier, wo das Unterste zuoberst gekehrt worden war. Viele Avot waren dabei, zusammen mit einigen Arbeitskräften von extramuros die Schlafsäle zu reinigen, um sie für die Schar vorzubereiten, die am nächsten Tag ihr Jahr beginnen würden.
Ausnahmsweise erreichte ich das Mynster einmal wesentlich vor der Zeit. Ich machte Arsibalt ausfindig und riet ihm dringend, nach diesen vier Dards Ausschau zu halten. Lio bekam das Ende meiner Ausführungen mit, und so musste ich sie wiederholen, während wir unsere Gewänder anlegten. Jesry erschien als Letzter, betrunken. Seine Familie hatte ihm zu Ehren in ihrem Haus einen Empfang gegeben.
Als der Primas unmittelbar vor Beginn des Ritus den Chorraum betrat, hatte er zwei violett gewandete Besucher im Schlepptau. Es war nichts Ungewöhnliches, dass Hierarchen aus anderen Konzenten auf diese Weise auftauchten, weshalb ich nicht weiter darüber nachdachte. Die Form ihrer Hüte war etwas ungewöhnlich. Arsibalt bemerkte das als Erster. »Wie es scheint, haben wir zwei hohe Gäste von der Inquisition«, sagte er.
Ich schaute zum Chorraum hinüber und erkannte die Gesichter des Mannes und der Frau, mit denen ich kurz zuvor gesprochen hatte.
Den Nachmittag verbrachte ich damit, der Wiese mittels Tischreihen ein Streifenmuster zu verpassen. Dabei war Arsibalt mein Partner. Er mochte in mancher
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