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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Position zu bringen, bevor ich ihm Auge in Auge gegenübertrat.
    »Was hast du gesehen?«, wollte Lio wissen.
    »Noch nichts, aber da oben ist eine Tafel, die ich holen muss und die uns vielleicht – vielleicht – einen Hinweis geben wird.«

    Er dachte darüber nach. »Das wird ein reizvolles Unterfangen.«
    »Ist das ein Versprechen, Lio?«
    »Nur eine Beobachtung.«
    »Gehen diese Ita nach einem einigermaßen vorhersehbaren Plan da hinauf?«
    Lio öffnete den Mund, um zu antworten, bekam dann aber einen verschmitzten Gesichtsausdruck und sagte: »Das verrate ich dir nicht.« Dann fiel ihm etwas ein. »Oje, ich bin spät dran.«
    »Seit wann macht das dir etwas aus?«
    »Es hat sich viel verändert. Ich muss gehen. Jetzt . Wir unterhalten uns später, ja?«
    »Lio!«
    Er drehte sich zu mir um. » Was?! «
    »Wer war Fraa Paphlagon?«
    »Er hat Fraa Orolo die Hälfte von dem beigebracht, was er wusste.«
    »Wer hat ihm die andere Hälfte beigebracht?«, fragte ich, aber Lio war schon weg. Eine Minute lang stand ich da, lauschte auf den weiteren Aufstieg der Ita und fragte mich, ob sie die Geräte auf das Vorhandensein von Tafeln hin prüften. Und wo ich mir eine Ita-Verkleidung würde besorgen können.
    Dann knurrte mein Magen. Als wäre er direkt mit meinen Füßen verkabelt, steuerte ich auf das Refektorium zu.
     
    Zehn Jahre und ein paar Monate war es her, dass ich zuletzt ein bewegtes Bild gesehen hatte, aber ich konnte mich immer noch an eine bestimmte Szene erinnern, wo ein Astronaut eine Weltraumhafenbar oder ein Steppenreiter einen staubigen Saloon betritt und es für eine Weile mucksmäuschenstill wird. Genau das passierte, als ich das Refektorium betrat.
    Ich war früh dran – ein Fehler, da ich jetzt keine Kontrolle mehr darüber hatte, wer bei mir sitzen würde. Ein paar der Edharier hatten sich früh herbegeben und Tische belegt, aber als ich versuchte, Blickkontakt mit ihnen aufzunehmen, schauten sie weg. In der Schlange stand ich zufällig hinter ein paar edharischen Kosmographen, die sich jedoch von mir abwendeten und so taten, als diskutierten sie sehr intensiv über einen neuen Beweis aus einem der Bücher und Magazine der letzten zehn Jahre, die bei der Apert auf die Schwelle der Bibliothek gekippt worden waren.

    An diesem Abend waren die Reformierten Alten Faanier mit dem Servieren des Essens dran. Arsibalt gab mir einen Extraschlag Eintopf und schüttelte mir die Hand – die erste herzliche Begrüßung, die mir zuteilwurde. Wir vereinbarten, uns später zu unterhalten. Er machte einen zufriedenen Eindruck.
    Ich beschloss, mich an einen leeren Tisch zu setzen und zu sehen, was passierte. Innerhalb weniger Minuten begannen Fraas und Suurs des Neuen Zirkels, sich um mich zu scharen, und alle bedachten sie mich mit einer jovialen Bemerkung über meine Zeit in der Zelle.
    Nach einer Viertelstunde tauchte Fraa Korlandin auf, im Arm etwas Altes, Dunkles und Krustiges, wie ein mumifizierter Säugling. Er stellte es auf den Tisch und befreite es von einem Teil seiner Umhüllung. Es war ein uraltes Fässchen Wein. »Von unserem Kapitelhaus für dich, Fraa Erasmas«, verkündete er anstelle eines Grußes. »Einer, der eine außergewöhnliche Buße durchsteht, verdient einen außergewöhnlichen Trunk. Er wird dir diese Wochen nicht zurückgeben, aber er wird dir helfen, alles über das Buch zu vergessen!«
    Korlandin bewies gerade eine gewisse Schläue, worüber ich froh war. Angesichts seiner Liaison mit Suur Trestanas – von der ich annahm, dass sie immer noch bestand – musste dieser Augenblick peinlich sein. Der Wein war eine freundliche Geste und außerdem ein Weg, diese Peinlichkeit zu umschiffen. Als er sich mit dem Stopfen beschäftigte, wurde mir allerdings etwas unbehaglich zumute. Sollte das auch die Feier meines Eintritts in ihren Orden sein?
    Fraa Korlandin schien meine Gedanken zu lesen. »Das ist nur zur Feier deiner Freiheit – nicht, um sie einzuschränken!«, sagte er.
    Jemand anderes hatte eine Holzkiste geholt und öffnete sie, um einen Satz zusammenpassende Fingerhüte zutage zu fördern, von denen jeder das Wappen des Neuen Zirkels eingraviert hatte. Ein Fraa und eine Suur nahmen sie Stück für Stück aus ihren samtverkleideten Mulden und polierten sie mit ihren Kullen. Corlandin machte sich an dem Stopfen zu schaffen, einer brüchigen Vorrichtung aus Lehm und Bienenwachs, die schwer zu entfernen war, ohne dass sie zerbrach und den Wein verunreinigte. Allein Fraa Corlandins

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