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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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Hautsäckchen über ihren gealterten Jungenkörper verteilt, aber die weiß Gott zu beschäftigt ist, um sich über derlei Dinge zu sorgen; was soll man auch tun, wenn man ohnehin schon dreimal die Woche auf dem verdammten Crosstrainer steht. Beschäftigt mit Haus und Garten. Beschäftigt mit Einkaufen. Und Saubermachen. Beschäftigt mit dem Kind. Hat sie einen Beruf? Ich glaube schon, obgleich ich nie danach gefragt habe, und jetzt ist es bestimmt zu spät dafür – innezuhalten, wenn ich am Ohrläppchen des Geliebten knabbere, und in die roten Höhlungen zu flüstern: »Was macht eigentlich deine Frau den ganzen Tag?«
    Ich beschließe, dass sie es nicht weiß. Wenn sie etwas wüsste oder auch nur argwöhnte, hätte sie Conors Namen parat gehabt.
    Oder vielleicht weiß sie es und hat nur zum Spaß den falschen Namen genannt.
    Vor dem bizarren Geselligkeitsimpuls seiner Frau hatten wir uns zwei weitere Male getroffen. Beim ersten Mal gab es keinen Zweifel, kein Zögern. Wir hatten uns lächelnd zum Mittagessen auf der Nordseite verabredet, und als ich die O’Connell Street entlangging, erhielt ich eine SMS:
    »Gresham Hotel 328.«
    Das war alles. Kein: »Ich muss dich sehen.« Kein: »Ich werde dort auf dich warten.«
    Auch nicht vor dem zweiten Rendezvous, zehn lange Tage später, in einem Hotel draußen beim Flughafen. Kein unflätiges Gerede, kein schlüpfriges Foto im Anhang.
    Nur: »Clarion 29.«
    Und von mir: »OK.«
    Beide Male ließen wir uns über das Dekor aus, über die Bilder an den Wänden und die Farbe des Teppichbodens: ein kerniges Naturbraun im Gresham und ein seltsam unwirkliches Grün im Flughafenhotel, wo sich sämtliche Gäste nur auf Durchreise befanden. Jedes Mal hatte Seán das Zimmer reserviert und im Voraus bezahlt – vermutlich in bar. Als seien wir dafür geschaffen. Keine E-Mails, keine belastenden Dokumente, nur zwei unverzüglich gelöschte SMS.
    Und auf diesem aus keck vorgetäuschten Verabredungen und Schweigen errichteten Gerüst, nachdem ich die namenlose Nummer auf der Anzeige meines Handys gesehen und die Hotelrezeption passiert hatte, wo niemand sich die Mühe machte, nach meinem Namen zu fragen, nachdem ich die Tür gefunden und angeklopft hatte, nachdem der fürsorglich bestellte Champagner entkorkt und mit abgewandten Augen und einem schrecklichen dünnen Lächeln auf unser beider Lippen der Teppichboden erörtert worden war, hatten wir – ich weiß nicht, ob »Sex« das richtige Wort dafür ist, obgleich es auf jeden Fall auch Sex war –, hatten oder taten wir also genau das, was wir haben oder tun wollten, und als das nicht ausreichte, setzten wir noch einen drauf und hatten oder taten es noch einmal von vorn.
    Wir redeten nicht viel.
    Natürlich machte unser Schweigen die Sache noch um einiges obszöner. Aber in einem Traum reden die Leute nicht. Oder wenn sie reden, dann nicht wie in Wirklichkeit. Ich überlege, wie still es in den beiden Zimmern war, als wir die wohlüberlegten und doch überraschenden Handlungen vollzogen, die Haut mit Haut in Berührung brachten. Es war helllichter Tag. Man konnte den freitagnachmittäglichen Verkehr hören und, um zwei Uhr, die Glockenschläge vom Hauptpostamt. Wir küssten uns nicht lange. Vielleicht ist das der Grund, weshalb es mir einleuchtete, dass so wenig Worte gesprochen wurden.
    Aber vielleicht gab es ja auch zu viel zu sagen, und alles davon war falsch.
    Oder vielleicht bin ich einfach nur romantisch. Ich meine, wer weiß, was Seán zu dem betreffenden Zeitpunkt dachte. Ich glaube mich zu erinnern, dass er sagte: »Scht.«
    Und genauer betrachtet, war jenes erste Mal im Gresham etwas hastig, wir handhabten es schlecht. Danach war Seán leicht aufgebracht, beinahe brüsk. Aber das zweite Mal. Das zweite Rendezvous. Das war perfekt.
    Wie war er im Bett? Er war wie er selbst. Seán im Bett ist derselbe, der er die übrige Zeit ist. Hat man die Verbindung erst einmal hergestellt, ist sie leicht zu erkennen, davor aber ist es eines der großen Rätsel: Wie ist er?
    So.
    Und so.
    Im Flughafenhotel sah ich ihm beim Anziehen zu, und als er zu seinem Flieger aufbrach, blieb ich im Zimmer zurück. Ich sagte, ich wolle duschen, aber ich duschte nicht. Ich stand auf, setzte mich auf den Stuhl und hatte unser Nachbild vor Augen: sein auf dem Fußboden zurückgebliebenes Handtuch, den letzten Abdruck auf dem von unseren Bewegungen zerknitterten Laken. Dann zog ich meine Kleider an und ging zur Bar, wo ich in der geheimen Aura seines

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