Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
Vom Netzwerk:
und wer was wohin steckte – diese Details gehen außer uns niemanden etwas an.

Secret Love
     
    Was ist das bloß mit Ehefrauen? Die haben diese komische Angewohnheit – ich bin nicht die Einzige, der das passiert ist. Ich bin nicht die Einzige, die ins Haus gebeten worden ist.
    Einen Tag vor Weihnachten nahm ich den Hörer ab und hörte die Person am anderen Ende der Leitung sagen:
    »Oh, hallo, ich möchte mit Gina Moynihan sprechen.«
    »Am Apparat.«
    »Hallo, Gina, hier ist Aileen – du weißt schon, Seán Vallelys Frau.«
    Und ich dachte: Sie ist uns auf die Schliche gekommen .
    Ich erinnere mich an jedes Wort des darauf folgenden Gesprächs, an jede nackte Silbe und jede höfliche Veränderung des Tonfalls. Noch Tage danach spielte ich das Gespräch in meinem Kopf ab, Ton für Ton. Ich konnte es auswendig, wie ein Lied.
    »Oh, hallo«, sagte ich. Etwas zu schnell. An dem »Oh« hätte ich mich fast verschluckt. Wenn man sehr genau hinhörte, klang es vermutlich eher wie »Go, hallo«. Aileen zögerte jedoch keinen Augenblick.
    »Ich habe deine Nummer von Fiona, ich hoffe, du hast nichts dagegen. Ich wollte dich einladen, nach Weihnachten. Wir machen unseren Neujahrsbrunch, ich weiß nicht, ob Fiona ihn erwähnt hat, wir machen nur so eine Art Brunch, und Seán macht diese Art Kraftbrühe mit Wodka, für Leute, die eine Katerkur brauchen. Wie heißt das doch gleich?«
    Das war die längste Aneinanderreihung von Wörtern, die ich von ihr in einem Atemzug gehört hatte. Ich brauchte eine Sekunde, ehe ich merkte, dass sie verstummt war.
    »Bullshots?« Meine Stimme klang eigenartig. Kein Wunder.
    »Genau die. Es geht um halb zwölf los, aber die Leute kommen nach Belieben.« Sie sagte: »Seán würde sich sehr freuen, dich zu sehen, und natürlich auch Donal.«
    Donal?
    »Wunderbar«, sagte ich.
    Vielleicht meinte sie Conor.
    »Du weißt, wo unser Haus ist – an der Ecke, bevor man links zu Fiona abbiegt.«
    »Ja, ich glaube schon«, sagte ich.
    »Die graue Bruchsteinmauer?«
    »Bruchstein« war nett. Sie sagte nicht: »Die alte Granitmauer. « Dazu war sie zu taktvoll.
    Sie erwähnte auch nicht – wieso auch? – den Abend, als ich zwei Stunden lang gegenüber dieser Mauer geparkt und zu ihrem Haus hinaufgeschaut hatte, bis ein Licht nach dem anderen erlosch. Ich weiß nicht, warum ich das tat. Sicher hatte es damit zu tun, dass Fiona und Shay das Wochenende über in Mount Juliet waren; es bestand also kein Risiko, dass sie vorbeikamen und meinen Wagen erkannten. Ich nehme an, dass ich ihm nahe sein wollte. Ich wollte den Lichtwürfel sehen, in dem er saß. Außerdem wollte ich herausfinden, ob die beiden, Seán und Aileen, noch im selben Zimmer schliefen. Ich ließ das Autofenster herunter. Die Nachtluft war still. Vorderfenster hell, Vorderfenster dunkel. Von der Rückseite des Hauses wirres Licht, blockiert von Ecken und halb geöffneten Türen. Aus. Ein anderes Licht geht an. Im mittleren Fenster über der Eingangstür – vermutlich der Treppenabsatz – die wippende Silhouette eines Kopfes. Die haben ein Haus, das aussieht wie eine Kinderzeichnung; niedlich und quadratisch.
    Niemand setzt die Katze vor die Tür.
    Um ein Uhr morgens bin ich noch kein Stück weiter, aber mir ist kalt, und von all der Aufregung über den wippenden Kopf auf dem Treppenabsatz bin ich so ausgelaugt, dass ich kaum die Hände vom Lenkrad lösen kann, um den verdammten Motor anzulassen.
    Das alles erwähnte Aileen am Telefon natürlich nicht. Sie sagte nicht: »Wenn dir das Haus so gut gefällt, kannst du ruhig anklopfen.« Taktvollerweise sagte sie nur: »Die graue Bruchsteinmauer«, und ich sagte: »Aha.«
    Auf meinem Schreibtisch habe ich einen Kugelschreiber mit Puschelende, ein Geschenk meiner Nichte, als sie fünf oder sechs war. Er ragt aus meinem Stifteköcher; eine Ballerina in einem blauen Federtuft, mit der ich mir beim Telefonieren manchmal übers Gesicht streiche, dann zittern und wehen die Federn im Luftzug meines Atems. Oder ich betrachte ihr Gesicht, das stets lächelt.
    »Ich glaube, ich kenne es«, sagte ich. »Am Neujahrstag ?«
    »Ihr kommt also. Großartig«, sagte Aileen. »Ich will’s doch hoffen. Tschüss!«
    »Tschüss«, sagte ich, aber da hatte sie schon aufgelegt.
    Aileen als Gesellschaftsdame, die ihre Gästeliste abhakt. Sie gab mir keine Gelegenheit, die Einladung auszuschlagen. Schlaue Aileen, kein Druck, nur etwas Spaß. Tüchtige Aileen. Aileen, deren bisschen Fett sich in traurigen

Weitere Kostenlose Bücher