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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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war, hatte ich seine Frau am Telefon, seine Frau, die mich einlud und mich vermutlich genauer in Augenschein nehmen wollte, jetzt, wo alles zu spät war.
    Das betrübte mich mehr als alles andere. Ich legte den Hörer auf und wedelte vorwurfsvoll mit meiner kleinen Federballerina.
    Sieh nur, was du angerichtet hast .

Kiss Me, Honey, Honey Kiss Me
     
    Unterdessen musste die Weihnachtsfeier der Firma überstanden werden. Um neun Uhr abends stehe ich im Flur des l’Gueuleton in der Fade Street und verabschiede mich von Fiachra, der versucht, durch die Tür und nach Hause zu gelangen, zu seiner schwangeren Frau. Nachdem das vollbracht ist, lehnt sich Seán, der ihm assistiert hat, mit dem Rücken gegen die Ziegelwand, stößt ein- oder zweimal mit dem Hinterkopf dagegen und sagt: »Fuck. Fuck.« Ich sage: »Wo können wir hingehen?«, und er sagt: »Wir können nirgendwohin, es geht einfach nicht«, aber wir sind beide ziemlich betrunken und zerren einander schließlich ins Parkhaus in der Drury Street; wieder ein endloser Kuss in irgendeiner betonierten Ecke, die nach Benzin und Regen riecht, begleitet vom Geräusch herumwandernder Leute auf den unteren Etagen und dem Quäken gefundener Autos, die auf die ferngesteuerte Zentralentriegelung reagieren.
    Auch dies ein epischer Kuss, ein »Wandgleiter«, wie er im Buche steht. Mir ist, als kletterte ich aus meinem Kopf heraus, als schlüge der Kuss das ganze übliche Schlamassel meiner Person in die Flucht. Gegen Ende berühren unsere Körper sich kaum noch, und alles ist so klar und zärtlich, dass ich mich zu der Frage aufraffen kann: »Wann sehe ich dich wieder?«, und er antwortet: »Ich weiß nicht. Ich werde es versuchen. Ich weiß es nicht.«
    Ich laufe durch die Weihnachtsbeleuchtung der Innenstadt, kein Taxi in Sicht, die Stadt um mich her spielt verrückt, und ich denke, was für eine Extravaganz der Natur ein Kuss doch ist. Wie Vogelgesang, innig und entzückend, jenseits aller denkbaren Nützlichkeit.
    Und dann nach Hause: das Greifen des Schlüssels im kalten Türschloss, der Geruch der unbewegten Dielenluft und oben das matte Schimmern von Conors Laptop. Ich gehe hinauf – betrunken und jedes Mal verblüfft, dass mein Fuß auf eine Stufe trifft. Mein Angetrauter sitzt im Sessel, das Gesicht blau vom Schein des Bildschirms, und nichts bewegt sich, bis auf seine Finger, die über das Touch-pad huschen, und seinen Daumen, wenn er anklickt.
    »Netten Abend gehabt?«
     
    Natürlich hatte ich nicht die geringste Absicht, auf Aileens gottverdammte Party zu gehen. Aber das Weihnachtsfest in Youghal war lang: Knallbonbons ziehen, belanglos plaudern, sich Tag für Tag in einen Zustand harter Nüchternheit picheln, der einen nachts wach hält und knallwütend macht. Conors Familie trank nie im Pub seines Vaters, auch wenn sich der eine oder andere gelegentlich seine Jacke überwarf und in ein Taxi sprang, um hinter der Theke auszuhelfen. Sie wohnten außerhalb, an der Straße nach Cork, mit einem Bächlein im Garten, und von den gewöhnlichen Säufern der Stadt hielten sie sich fern – mit Kisten französischen Weins, die sie von einem Importeur in Mullingar bezogen.
    Conors Mutter trug eine cremefarbene Hose, die zu ihrem aschblonden Haar passte, und edlen Goldschmuck auf der permanent gebräunten Haut. Sein Vater war ein schwerer, körperbetonter Mann, der bei der Begrüßung gern richtig zulangte und der Meinung war, in seinem Alter sei es nur recht und billig, bei seiner Schwiegertochter richtig zulangen zu dürfen. Seine Frau pflegte ihn mit einem vernehmlichen »Das reicht, Francis!« zurechtzuweisen, und dann lachten alle – ich bilde mir das nicht ein – über mein Unbehagen und die wundervolle geile Ungezogenheit ihres Alten Herrn.
    Trotz alledem gaben sie ein gutes Paar ab. Sie hatten ihren Spaß. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen von Cousins und Freunden und verschiedenen »Partnern«, die mit Flaschen Heidsieck oder Rémy Martin in der Hand vorbeischauten und über »Eulen nach Athen« lachten, wenn sie ins Wohnzimmer gebeten wurden. Es erinnerte mich an meinen eigenen Vater, dieser gespielte Ernst: »Ach, beachte den Burschen einfach nicht!«, mit seiner unterschwelligen Aufgeblasenheit und all den unausgesprochenen Dingen; die Art, wie sie stets im Bilde waren.
    Bei all dem schlauen Getue bin ich mir nicht sicher – auch bei meinem Vater nicht –, worüber genau sie im Bilde waren und was dabei eigentlich für sie abfiel: vielleicht die

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