Anatomie einer Affäre: Roman
Nachmittag könnte man wahnsinnig werden.
Einmal hatten unsere Hände sich berührt. Im Bett. Ich erinnerte mich an den Schock. Unsere Hände hatten sich berührt, als wir nackt und anderweitig beschäftigt waren, und es war tatsächlich peinlich – so sehr waren sie mit Realität beschwert. Ich entschuldigte mich, so wie man sich bei einem Fremden entschuldigt, mit dem man versehentlich auf der Straße zusammengestoßen ist.
Alle zwei Minuten prüfte ich mein Handy, Hunderte Male am Tag. Nach dem Gresham Hotel zog ich seine Liebe eine Woche lang in meine Richtung, saß vollkommen still und dachte an nichts anderes als an den nächsten Sekundenbruchteil und den übernächsten, da er endlich lächelnd vor mir Gestalt annehmen oder mein Handy bei seinem Anruf vibrieren würde.
Aber es vibrierte nicht. Ganz gleich, an wie vielen langen Tagen ich mir wie viele Sekundenbruchteile ausmalte, es weigerte sich.
Natürlich begegnete ich ihm mitunter. Ich kam an seinem Schreibtisch vorbei, er an meinem. Bei einer Gelegenheit diskutierten wir die versteckten Kalorien in einem durchschnittlichen Caffè Latte. Und danach ging er weiter.
Zu Hause ärgerte ich mich unentwegt über Conor. Wie konnte er den ganzen Abend mit mir verbringen, ein indisches Take-away essen, Die Sopranos anschauen und nicht merken, wie aufgewühlt ich war? Wenn Liebe eine Art Wissen ist, dann konnte er mich gar nicht lieben, denn er hatte nicht die leiseste Ahnung. Es war ein seltsames Gefühl. Unserer Liebe war eine elementare Kraft abhandengekommen, so als würde man der Welt mitteilen, dass die Schwerkraft doch nicht existiert. Er kannte mich nicht. Er kannte sein eigenes Bett nicht.
Nachts wandte ich mich von ihm ab oder ertrug einmal vielleicht doch seine Avancen – aus Kummer und zum Trost. Ich stand um vier Uhr nachts auf, um Getreideflocken direkt aus der Packung zu essen und dazu löffelweise Erdnussbutter. Ich wachte frühmorgens auf, zog mich an und wieder um; hohe Absätze, höhere. Dann stieg ich von den Absätzen herunter, zog meine flachen Schuhe an, knöpfte meine Bluse zu und ging zur Arbeit. Und Sonntagnacht, acht Tage nachdem ich das Zimmer im Gresham Hotel verlassen hatte, fand ich mich im Dunkeln vor Seáns Einfahrt wieder, klammerte mich ans Lenkrad, traf Absprachen und belegte ihn mit einem Zauber.
Am Montag kaufte ich ihm etwas.
Der Gemüseladen in der Nachbarschaft ist ein kleiner, den Elementen ausgesetzter Yuppieschuppen. Im Dezember gibt es Kisten mit Weihnachtssatsumas, grünen Feigen und Granatäpfeln, die in weißen Netzen mit achtförmigen Maschen steckten. Ich wählte einen kleinen Beutel Litschis, die sich kühl und höckrig anfühlten. Eine davon aß ich auf dem Rückweg zum Büro, als ich in einem Eingang Schutz vor dem Regen suchte. Ich hatte sie noch nie frisch gekostet. Die Haut ähnelte einer Baumrinde; sie war so dick, dass man es hörte, wenn sie aufriss. Darunter lag das dunkle Weiß der Frucht, glatt wie ein gekochtes Ei und noch glitschiger, und in der Mitte des grauen, parfümierten Fleisches lag ein tiefroter Kern, der von einem pinkfarbenen Belag umhüllt war.
Wir hatten uns über China unterhalten. Seán hatte gemeint, ich solle Mandarin lernen. Er sagte, er sei in Schanghai gewesen – ob ich je in Schanghai gewesen sei? Da draußen gehe es wie im verfluchten Wilden Westen zu –, und am Flughafen hätte er seiner Tochter beinahe eine Selbstlern-DVD gekauft, dabei sei sie über das Stadium hinaus, in dem man sich den Zugang zu einer Sprache gewissermaßen ersingen könne, jenes perfekte Stadium, in dem man verstehe, wie Chinesisch überhaupt erfunden wurde. Er sagte, man befahre diese Straßen, diese vollkommen leeren achtspurigen Fernstraßen, und man bekomme eine Vorstellung von der Zukunft – dass sie machbar sei. Sicher, es sei beängstigend. Aber die Zukunft sei auch normal .
Aber nein, ich war noch nie in Schanghai gewesen. Ich legte ihm die kleine, noch regenbefleckte Tüte auf den Schreibtisch. War es das, was ich ihm damit sagen wollte? Dass alles, was unter der Haut ist, unter der Haut bleibt? Dass ich bereit war, die Dinge kleinzuhalten?
»Wo würdest du buchen«, fragte er mich später, »wenn du ein Flughafenhotel brauchst?«
»Das Clarion?«, sagte ich.
Und drei Tage nachdem ich die Tür des zweiten Hotelzimmers hinter mir geschlossen, einen Minibus zum Flughafenterminal genommen, mich am Taxistand eingereiht hatte und ungewaschen und frei von allen Sorgen nach Hause gefahren
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