Anatomie einer Affäre: Roman
das stimmte natürlich. Ich meine, wen zieht es nicht nach Australien? Am Ende seiner Erzählung schien der ganze verdammte Kontinent ihm zu gehören. Und das alles nur, weil ich schon einmal dort gewesen war und er nicht.
Man musste sie bewundern, diese Art, allem etwas Gutes abzugewinnen.
»Kenne ich schon, hab ich gesehen«, sagte er dann. »Ist sie nicht großartig?«
Aber ich fühlte mich nicht großartig. Ich wollte frei sein von der Schublade, in die er mich fortwährend steckte. Es kam so weit, dass ich mit ihm schlafen – ihn sogar lieben – wollte, nur um wieder ich selbst sein zu können; ein unbeschriebenes Blatt. Vor allem aber wünschte ich mir, er wäre nicht von vornherein neidisch auf mich. Ich meine, man brauchte doch bloß ein Flugzeug zu besteigen. So dachte ich natürlich nur, bevor ich etwas über seine Kindheit erfuhr, lange bevor ich merkte, dass er sich diesen Affekt gar nicht abgewöhnen wollte. Es gefiel ihm einfach, neidisch zu sein, es war sein Trost und seine Gesellschaft – man könnte es auch Ehrgeiz nennen; es war sein Schutz vor der Nacht.
Als Zweites fiel mir auf, dass Seán einen Widerwillen gegen Essen hat. Ich meine nicht gegen Nahrungsmittel als solche, ich meine, dass er das ganze Gekaue und Geschlucke verabscheut – da gibt es vermutlich allerhand zu verabscheuen. Trotzdem war da immer dieses gewaltige Palaver im Restaurant: die Wahl des Tisches, das geräuschvolle Aufschlagen der Serviette, endlose Diskussionen über den Wein und eine gewisse Zimperlichkeit bei Pasta, die nicht hausgemacht war. Man könnte sagen, das Vorspiel dauerte ewig. Dann kam das Essen, und er wartete. Manchmal faltete er die Hände und führte ein Argument zu Ende oder trug ein anderes vor. Schließlich nahm er den ersten zeremoniellen Bissen, machte mmmm, mmmm und lobte das Gericht: die Karamelligkeit der Kirschtomaten oder dergleichen. Darauf eine kurze Phase gewöhnlichen Verzehrs – kau, kau –, bis der Augenblick kam, da ich begriff, dass er innegehalten hatte und das Essen begutachtete. Vielleicht nahm er noch eine weitere Gabel in Angriff, verlor jedoch den Mut, noch bevor sie seinen Mund erreichte. Dann starrte er wieder auf den Teller, eine Art innerer Widerstreit. Zum Schluss inszenierte er oft eine Ablenkung, griff nach einem letzten Happen und schob den Teller weg.
Dann wanderte sein Blick zu meinem noch immer kauenden Mund.
Ich war in diesen Mann verliebt – war ganz klar in ihn verliebt oder zumindest von ihm besessen. Die Rhythmen seines Appetits nahm ich sehr persönlich. Aber weiß Gott, ich konnte für ganz Irland futtern, daher fühlte ich mich nach unseren Verabredungen zum Mittagessen immer ein bisschen einsam; nicht nur verfressen, sondern auch hintergangen oder abgelehnt – als sei das ganze Essen meine Schuld.
»Wunderbar«, sagte er dann wohl. »Hattest du das schon mal mit Pesto?«
Ich fragte mich, wie es sich wohl lebte, so einem am Tisch gegenüberzusitzen – Frühstück, Mittagessen, Abendbrot. Warteten sie alle mit heraushängender Zunge, bis er mit dem Kopf nickte? Hörten sie auf zu essen, wenn er aufhörte? Aileen, so kam es mir vor, war die Sorte Frau, die die Erbsen zählte, die sie einem auf den Teller tat. So viel Beherrschung.
Ich fürchte, Evie isst kein Eis, nicht wahr, Evie?
Entweder waren sie das perfekte Paar, dachte ich, oder sie hatten seit Jahren keinen Sex mehr gehabt. Als ich erst einmal auf diesen Gedanken verfallen war, erklärte sich alles wie von selbst. Deshalb also waren sie so adrett und höflich. Das also war die Trauer in dem Blick, den er mir zugeworfen hatte, als er sich in Fionas Hausflur umwandte.
Aber obwohl ich, als ich von Luft und Liebe lebte, sage und schreibe sieben Pfund abnahm, dachte ich während jener Bürowochen nicht oft an Aileen. Ehrlich gesagt, hatte ich ganz vergessen, dass Aileen und auch Conor überhaupt existierten. Wenn ich nach Hause kam, war ich manchmal überrascht, ihn im Haus anzutreffen. Er kam mir so raumgreifend und real vor.
Wer bist du?
So schön kann ein langer Arbeitstag sein.
Das erste Mal, dass wir uns richtig liebten, Seán und ich, war eines frühen Abends, nachdem wir im Anschluss an unser freitägliches Mittagessen zu einer Party für einen Typen gekullert waren, der sich ein Jahr Auszeit für seine Jacht nehmen wollte. Es gelang uns, so lange auszuharren, bis alle anderen gegangen waren, aber welche Ecke wir fanden, und was wir miteinander trieben, und wie wir es bewerkstelligten,
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