Anatomie einer Affäre: Roman
Duftes saß, einen einzigen Whiskey trank und das mich umwogende Chaos von Koffergeschleppe, umgeleiteten Flügen und traurigen Abschieden betrachtete.
»Wir sind den ganzen Tag über gefahren, von Donegal«, sagte eine Frau, die ein großes Helles vor sich stehen hatte, mit Tränen in den Augen. »Sie fliegt morgen früh.« Dabei wies sie auf eine Frau beträchtlichen Alters und Umfangs, die auf der Sitzbank neben ihr saß und das Haar zu einem dünnen grauen Zopf gewickelt hatte, wie meine Großmutter vom Lande.
Die alte Frau, deren Kleider und Zähne ganz und gar amerikanisch wirkten, nickte mir kummervoll zu, während mich von der anderen Seite der Bar drei große, stramme Jungspunde beäugten und ihre Aufmerksamkeit dann wieder dem großen Wandfernseher widmeten.
Als ich ins Schlafzimmer zurückkam, war es völlig leer. Selbst unsere Geister hatten sich verflüchtigt. Oder vielleicht war doch etwas zurückgeblieben – ich versuchte, die Tür offen stehen zu lassen, blickte mich im letzten Augenblick jedoch noch einmal um und zog sie hinter mir zu.
Ich gab den Schlüssel an der Rezeption ab: vier futuristische Konsolentische auf Stelzen, jeder mit einer forschen osteuropäischen Empfangsdame in schwarzem Kostüm besetzt. Ich wählte die kürzeste Schlange und eine blonde Rezeptionistin, auf deren Namensschild »Sveva« stand. Ich hatte jede Menge Zeit, es zu studieren. Was für Probleme das Paar vor mir auch haben mochte – als ich endlich bei ihr ankam, waren wir alte Freundinnen. Sie überprüfte ihren Bildschirm und sagte mit einem vor Gleichgültigkeit strahlenden Lächeln: »Ja, das ist alles erledigt.« Und plötzlich dachte ich – oder wollte sie fragen: Wo wird das alles enden?
Drei Tage später – mit ihrem wunderbaren Gespür für Timing – rief Aileen an, wie eine Frau, die in panischer Angst eintrifft, wenn das Schiff gerade den Kai verlässt. Sie kam zu spät. Wir waren bereits an Bord gegangen. Unsere Affäre stand in vollen Segeln.
Die Flirts im Büro hatten aufgehört. Ich liebte den ausdruckslosen Blick, den ich ihm neben der Kaffeemaschine zuwarf, das gleichgültige »Bis morgen«, wenn ich meinen Mantel vom Haken nahm. Das war die Macht, die unser Geheimnis uns verlieh. Was den Büroklatsch anging, so war die Fährte erkaltet.
Dies ist wohl die Regel: dass Leute sich irrsinnig auffällig verhalten, bevor es richtig losgeht, und lächerlich auffällig, wenn es endet, aber wenn es passiert, wenn es beschlossene Sache ist, wenn sie übereinander herfallen, dann sind sie verschwiegen wie ein Minister mit einem Konto auf den Kaimaninseln – und doppelt so aufmerksam, wenn es darum geht, alten Damen über die Straße zu helfen.
»Hallo, Seán, tut mir leid wegen der Polen. Bin immer noch hinter denen her, um dir die Zahlen zu beschaffen. Sie sagen, Donnerstag. Reicht das?«
»Muss wohl.«
»Ich werde drauf drängen«, sage ich, und tief unten durchschießt mich Verlangen wie ein Blutstoß und breitet sich köstlich flammend in mir aus. Es ist eingegrenzt, wird von dem Geheimnis in Schach gehalten, hat die genauen Umrisse meiner Haut, denn ich bin das Geheimnis, ich bin das Geld – und das gibt mir das Gefühl, alles tun zu können.
Alles.
Außer natürlich, irgendjemandem davon zu erzählen. Das heißt, im wirklichen Leben kann ich eigentlich gar nichts tun. Außer stillzuhalten und Bescheid zu wissen.
»Donnerstag«, sagst du. »Was heißt das auf Polnisch?«
»Czwartek.«
»Oh. Hübsch.«
Aber nach dem ersten Treffen im Gresham Hotel war die Sache noch nicht beschlossen. Nichts war gewiss. Er schien sogar eher enttäuscht zu sein – von sich selbst, von mir, von der Unvermeidlichkeit des Ganzen.
»Warte fünf Minuten«, sagte er, als ich versuchte, gemeinsam mit ihm aufzubrechen.
Er legte seine Finger auf meine Lippen, rau und menschlich, und dann war er fort und ließ mich mit den kahlen Wänden und der Digitalanzeige der Hoteluhr zurück, die sich voranzurücken weigerte. Fünf Minuten. Ich stand am Fenster und sah ihn auf die Straße treten, barhäuptig, in den Novemberniesel gebeugt.
Das war’s.
Keine Verabredung, nicht einmal die Andeutung einer Verabredung.
Was vielleicht, eine Woche später, meinen kleinen Ausrutscher vor seiner Einfahrt erklärt, wo ich, das Lenkrad umklammernd, bis nach Mitternacht in meinem Wagen ausharrte. Denn eine Woche auf einen Anruf zu warten ist eine sehr lange Zeit. In einer Woche könnte man wahnsinnig werden.
Schon an einem
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