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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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Kneipenkonzession, die Baugenehmigung für irgendeinen Bungalow. Die schienen all das Zwinkern und Nicken kaum wert zu sein. In mir weckte es eine gewisse Nostalgie nach den Männern, die mich in der Diele im Nacken kitzelten und dabei Fünfzigpencestücke hervorzauberten, aber Conor war es verhasst – es juckte ihn regelrecht in den Kleidern, und er versuchte, das alles abzuschütteln.
    Was Conor an seinen Familienbesuchen gefiel, war die Gelegenheit, wieder ein Junge zu sein. Er liebte es, mit seinen Brüdern zu raufen und herumzulümmeln und die Hausarbeit den Frauen zu überlassen, und ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Falls dies Regression war, dann griff er auf ein kleineres Selbst zurück, eines, das er vor langer Zeit abgeworfen hatte. Daher galt meine Wut am Spülbecken nur teilweise der Plackerei, die es bedeutete, Gast in diesem Haus zu sein; sie galt eher dem Verlust des Mannes, den ich kannte, an diesen flegelhaften Teenager, der mir und möglicherweise sich selbst fremd war.
    Nachts im Bett versuchte ich, ihn zurückzuerobern. Ich weiß, damals schlief ich schon mit Seán, aber diese Dinge funktionieren nicht immer so, wie man es von ihnen erwartet – und eines Nachts, bevor das Gesaufe zu humorlos und eintönig wurde, klopfte ich an seinen kahl rasierten braunen Kopf an, um herauszufinden, ob er noch darin war. Und er war es. Im Dunkeln schlug er die Augen auf. Dann liebte er mich inmitten seiner alten Fußballposter und verstreuten CDs von oben bis unten, kreuz und quer, als wäre ich ein Traum von seiner Zukunft, der sich wider alle Möglichkeit bewahrheitet hatte; als wäre die Wahrheit besser, als er jemals hätte ermessen können.
    Erst Silvester stritten wir uns. Ich weiß nicht mehr, was der Auslöser war. Vermutlich Geld. Über Geld stritten wir häufig. Über seine Mutter. Ich meine, haken wir die Liste ab. Die Waschmaschine, die auslief, nachdem er sie »installiert« und auf den Knopf gedrückt hatte, ehe er zurückging, um Shattered Galaxy zu spielen. Der ganze Internetkram trieb mich längst zum Wahnsinn. Ich weiß nicht mehr, wann es begonnen hatte, wann der innovative Conor sich in jenen Conor verwandelt hatte, der mit einer Menge Spackos im Cyberspace abhing. Einmal ging ich so weit, seinen Browserverlauf zu überprüfen, aber der war vollkommen unauffällig – was die Sache nur noch schlimmer machte: Zu dem Zeitpunkt wäre ich froh gewesen, auf Pornos zu stoßen.
    Aber das kann nicht der Streit gewesen sein, den wir in Youghal hatten, denn wir waren außer Haus, ausnahmsweise einmal weit entfernt von jedem Bildschirm. Wir machten einen Strandspaziergang, und nach vier Tagen Küchenmief und ödem Weihnachtsfernsehen schmerzten meine Lungen von der kalten Luft und meine Augäpfel von dem weiten Blick. Ich glaube, es brach einfach aus mir heraus, gerade weil wir im Freien waren. Selbst als ich brüllte, schien meine Stimme sich in einem fernen Echo zu verlieren, dort, wo der Himmel ins Meer überging.
    Der Strand war nicht völlig verlassen – unten am Saum des Wassers lief eine Frau, und auf den gewaltigen Betonstufen, die das Land vor den Wellen schützten, stand ein Mann und schoss Fotos mit einer sehr gewöhnlichen Kamera. Reihen schwarzer Pfähle marschierten, einer nach dem anderen von Sandablagerungen eingeholt, immer kleiner werdend zum Meeresrand. Die neuen Sommerhäuser, ein winziges Spielzeugdorf, waren unter eine ferne Landzunge geschlüpft. Conor sagte, dass vier davon seinem Vater gehörten. Hast du so was schon mal gesehen? Aber sie waren gar nicht so übel. Unter dem blauen Winterhimmel sahen sie beinahe hübsch aus, in einer Luft, die so reglos war, dass man glaubte, sie könne zerspringen. Selbst die Wellen – oder ist das nur in meiner Erinnerung so? –, selbst die Wellen machten kein Geräusch.
    Der Streit drehte sich gar nicht um Geld, auch nicht um das Internet oder die überflutete Küche; er drehte sich nicht einmal – ich weiß noch, dass ich es so nannte – um unsere Beziehungskiste, um die Farbe dieser Kiste, ihren Geruch, darum, ob die Dinge innerhalb der Kiste funktionierten oder nicht, sondern nur um die Tatsache, dass wir in einer verdammten Kiste hockten, obwohl wir hätten frei sein können.
    Es war der letzte Tag des Jahres. Ich beschloss, am nächsten Morgen das Rauchen aufzugeben. Möglicherweise lag es daran: das Aufjaulen der Süchtigen vor dem endgültigen Entzug. Oder vielleicht hing es damit zusammen, dass ich das Rauchen für Seán

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