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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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aufgab, der den Geruch abgestandener Zigaretten so ekelhaft fand. So rückte auch er im Lauf des Tages drohend näher – das Bedürfnis, das ich verspürte, zu Seán zu passen. Und der Zorn, der damit einherging, war fürchterlich; der tiefe Verdruss darüber, dass ich mich aus einer Kiste herauskämpfte, nur um mich sogleich in einer anderen wiederzufinden.
    Es geht doch nichts über ein bisschen Drama an einem menschenleeren Küstenstreifen, über schrille kleine Schreie und Füßestampfen, Unterhaltung für die Möwen und Tinnitus für die Fische. Nichts ist so unnütz und erquickend; ein trauriger Hintern, der auf einer Million beleidigter Sandkörner landet, das leise Klacken von Schritten, die sich über Felsen entfernen.
    Danach war ich recht zufrieden. Ich zündete mir eine Zigarette an und war zufrieden, solange diese anhielt. Nichts bewegte sich, bis auf das Wasser, das sich immer bewegt. Mir war, als sei die Welt zum Stillstand gekommen, bis auf die Asche, die den weißen Schaft der Zigarette entlangglühte.
    Es war Silvester – der Tag im Jahr, den ich am wenigsten ausstehen konnte –, und ich wusste einfach nicht, wie ich ihn diesmal überleben sollte. Ich glaubte, Mitternacht würde mich umbringen, jeder einzelne Glockenschlag der verfluchten Uhr. Ich wollte sitzen bleiben und die Zeit anderswo verstreichen lassen. Wie stellt man das an? Man könnte aufsteigen und die Erde unter sich rotieren lassen. Man könnte auf dem stillen, kalten Meer dahintreiben. Man könnte einen Mann lieben und nie damit aufhören, einen anderen zu küssen.
    Nie damit aufhören.
    Als ich wieder ins Auto kletterte, sagte ich zu Conor, ich wolle nach Hause fahren, an diesem Abend hätte ich das dringende Bedürfnis, meine Mutter zu sehen, und wenn er wolle, könne er ja mitkommen, aber es wäre mir lieber, er täte es nicht.
    »Es wäre mir wirklich lieber«, sagte ich.
    Und dass … ich einfach … etwas Zeit brauchte … klar?
    Voller Mitgefühl für dieses und jedes andere traurige menschliche Klischee seufzte Conor auf und beugte sich zum Zündschlüssel vor.
    »Ich bring dich hin«, sagte er.
    »Nein.«
    »Na gut, dann nimm du den Wagen«, sagte er. »Ich fahre bei jemand anderem mit.«
    Und ich sagte nicht »Danke« oder »Tut mir leid« oder »Es liegt nicht an dir, sondern an den verfluchten Zigaretten«. Weder log ich ihn an, noch sagte ich ihm die Wahrheit – dass all dies nichts mit ihm zu tun hatte und in gewisser Weise nicht einmal mit Seán Vallely.
     
    Ich nahm die N25 in Richtung Waterford, und als eben die Straßenbeleuchtung anging, glitt ich die hohe geschwungene Straße nach Dungarvan hinab. Ich musste an den Gesichtsausdruck meiner Schwiegermutter denken, als ich mich so unerwartet und hastig von ihr verabschiedete.
    »Keine Bange«, hätte ich sagen können, »ich werde deinem Sohn schon nicht das Herz brechen.«
    Oder etwas in der Art. Selbst wenn es eine Lüge gewesen wäre. Selbst wenn wir miteinander geredet hätten, was wir natürlich nicht taten. Zwischen Conors Frauen hatte es eine Machtverschiebung gegeben, das war alles, obwohl ich weniger Spaß daran hatte, als man vermuten könnte.
    Conor hatte den Wagen vor die Haustür gefahren, und ich hatte mein Gepäck in den Kofferraum gestellt. Vor ihrem großen weißen Bungalow hatte ich jedem von ihnen einen Abschiedskuss gegeben, und mein bemitleidenswerter Schwiegervater hatte seine Hände ausnahmsweise einmal bei sich behalten. Aber wissen Sie, eigentlich hat es mir nie etwas ausgemacht, mit meinem Schwiegervater zu flirten. Vermutlich hat es mir so gut gefallen wir nur irgendetwas. Ich flirte schrecklich gern.
    Ich passierte die Ausfahrt nach Brittas, dann die nach Enniskerry, dort, wo die Autobahnbeleuchtung beginnt. Ich rollte bis zur Ausfahrt nach Tallaght, arbeitete mich durch die Vorstadtstraßen und zog die Handbremse erst vor der Haustür meiner Mutter an. Ich schaltete den Motor aus und stieg in winterlicher Stille aus dem Wagen, während noch immer das Blut in meinen Adern brauste.
    Es war schön, zur Abwechslung einmal bei meiner eigenen Familie zu sein. Auch wenn es kaum eine nennenswerte Familie war. Vor den echten Flammen des künstlichen Gaskamins meiner Mutter saßen nur wir beide, zappten uns während des Mitternachtsgeläutes durch die Fernsehkanäle und tranken Sea-Breeze-Cocktails.
    Obwohl es kein richtiger Kamin war, schnippte Joan die Asche ihrer Zigarette abwesend in seine Richtung. Durch den Stoff ihres Rockes hindurch

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