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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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wir Joans Sachen gar nicht. Als hätten wir uns vorher abgesprochen, gingen wir in unsere alten Schlafzimmer im hinteren Teil des Hauses und sortierten unsere eigenen Sachen. Ich hatte eine Rolle Müllsäcke mitgebracht und füllte zwei davon mit Stofftieren, Büchern, Gürteln, Glasperlen und Schuhen. Nur eine Mutter konnte solchen Krempel lieben, dachte ich und fragte mich, was Joan wohl gesehen hatte, wenn sie all das verblichene Plastik betrachtete – ein Stück eigenes Glück, ein Stück Kindheit, das nicht ganz meiner Kindheit entsprach. Auch das hatte ich verloren.
    Ich knotete meine Säcke zu und stellte sie auf den Flur, fertig für den Müllcontainer. Fiona brachte ihren zum Auto.
    »Das alles wirst du doch wohl nicht behalten?«, fragte ich. Und sie antwortete, nein, sie wolle die Sachen nur mit nach Hause nehmen und dort in den Müll werfen.
    »Ach so«, sagte ich.
    Nach jenem ersten Treffen gestaltete es sich schwierig, einen geeigneten Termin zu finden. Wegen Megans Matheaufgaben und Jacks Neurodermitis war Fiona nicht abkömmlich. Ich selbst hatte im Büro viel aufzuarbeiten. Und so stand das Haus einfach da, ohne dass jemand eingebrochen wäre, und der Geruch in Joans Kleiderschrank wurde allmählich säuerlich.
    Es gab niemanden, der uns beistand. Wir brauchten jemanden, der uns dabei half, ihre Sachen durchzugehen: ihre marineblauen Jean-Muir- und Agnes-B-Strickjacken; die Biba- und frühen Jaeger-Teile; all das Zeug, das sie in London gekauft hatte, in jenem berühmten Jahr, bevor mein Vater sie kennenlernte, um sie warb und sie wieder mit nach Hause nahm.
    Ist nicht genau das Aufgabe der Männer? Zu sagen, lieber Himmel, es ist doch nur ein Rock, nur eine alte Bluse. Aber die Männer überließen die ganze Angelegenheit uns, und selbst wenn sie es nicht getan hätten, wäre in Wahrheit weder Shay noch Conor der Aufgabe gewachsen gewesen. Sie waren einfach nicht von Bedeutung. Sie konnten uns nicht voreinander schützen, wenn wir Joans Abendstola von Sybil Connolly oder das kleine Bolerojäckchen mit den Straußenfedern herausholten und sagten: »Nein, das nimmst du«, »Nein, du.«
    Damit will ich sagen, dass es um mehr als nur die Frage des richtigen Timings ging, auch wenn wir jetzt genau darüber nachdenken.
    Draußen im Garten steht leuchtend und kantig und immer wieder befremdlich das mit garstig kräftigem Draht am Tor festgezurrte »Zu verkaufen«-Schild. Vor mehr oder weniger siebzehn Monaten ist es dort eingehämmert worden. Zwecklos, darüber zu streiten. Ausrechnen kann es jeder. Es ist, was es ist , sage ich mir. Unsere Mutter starb im Mai 2007. Sie war den ganzen Tag tot. Sie würde für den Rest der Woche tot sein. Und in der Woche darauf wäre sie ebenfalls tot. Für Joan war es keine Frage des Timings mehr.
    Außerdem dachten wir – wir hatten uns angewöhnt zu denken –, je länger man wartet, desto besser. Im selben Februar hatte Mrs Cullen weiter unten in der Straße gerade ein Angebot über »knapp zwei« angenommen. So redete man in jenem Frühjahr, während der letzten wilden Käufe, bevor die ganze Kauferei zum Stillstand kam, über diese Dinge: Das Wort »Millionen« war zu real und zu schmutzig geworden, um es auszusprechen. Damals, in der guten alten Zeit, als meine Mutter noch lebte und jeder auf der Straße trank und man, wenn man seine Küche fliesen lassen wollte (und damals wollten wir kaum etwas anderes), den Handwerker aus England einfliegen und in einem Hotel unterbringen musste.
    Irgendwann Anfang Juni brachte Shay uns zum Anwalt. Wir saßen in seinem Büro in der Innenstadt und ließen diesen Fremden mit seinen schönen, sauberen Händen einen Ordner mit der Aufschrift »Miles Moynihan« durchblättern und während des nachfolgenden zwanglosen Geplauders die Ansicht vertreten, dass wir nach der Testamentsbestätigung vermutlich »etwas über zwei« verlangen könnten.
    Dann bezahlten wir ihn. Ein gewaltiger Batzen Geld. Und den Makler bezahlten wir auch. Nahezu zwei Jahre später kann ich keinen dieser Leute ausstehen.
    Aber seinerzeit war ich fast dankbar. Wenn man schon – was soll’s – seine Trauer in Bargeld verwandelt, dann hilft es vielleicht, wenn es ein Haufen Bargeld ist. Wir verließen sein Büro und stiegen schweigend die Granitstufen hinab. Fiona sagte: »Hübsche Hände.«
    »Er hatte Alexander-McQueen-Schuhe an«, sagte ich. »Hast du gesehen? Winzig kleine Totenschädel im Leder.«
    »Was bedeutet das?«, fragte sie. »Was bedeutet

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