Anatomie einer Affäre: Roman
wieder auf.
»Was ist mit dir?«, fragte ich.
»Nichts.«
»Bist du in der Hundehütte?«, fragte ich, denn wenn er von seiner Ehe sprach, sagte er immer: »Zu Hause bin ich in der Hundehütte.«
»Nein, das ist es nicht«, antwortete er. Aber irgendetwas war.
Früher – in der guten alten Zeit, als wir einander selten bekleidet zu Gesicht bekamen – redete Seán nicht über Evie. Vielleicht kam er gegen Ende des Nachmittags kurz auf sie zu sprechen, wenn er sich zum Gehen anschickte. Einmal sagte er: »Evie möchte ein Frettchen haben. Kannst du dir das vorstellen?« Ein anderes Mal, als er seine Hosentaschen nach Schlüsseln absuchte, sagte er: »Evie ist ein Büschel Haare ausgefallen, hast du so was schon mal gesehen? Etwa so groß wie ein altes Zweipencestück, etwa so breit.«
Das sagte er irgendwann im Frühling. Ich weiß noch, wann es war, weil ich mich daran erinnere, ziemlich beiläufig gedacht zu haben: »Das waren wir .« Es war unser Kuss an Silvester, der Evies Haarausfall verursacht hatte.
Seine Anrufe nach Joans Tod waren anders. Er rief als Freund an, und er redete über seine Tochter, wie man das so tut.
Evie stritt mit ihrer Mutter. Evie warf ein Paar Schuhe unter einen fahrenden Lastwagen, weil sie hohe Absätze tragen wollte. Evie war so verträumt – dauernd kam sie zu spät. Ihre Schulleistungen ließen nach; sie konnte sich höchstens zwei Minuten lang konzentrieren. Ich überlegte, ob meine Nichte Megan schon ihre Periode bekommen hatte. Ich fragte: »Isst sie?«
»Isst sie?«, fragte er.
»Nahrungsmittel, meine ich.«
»Sie isst«, sagte er, obwohl er die Frage zu missbilligen schien.
»Wie alt ist sie noch mal?«
»Zehn.«
»Das wäre wirklich etwas früh.«
Ich erzählte ihm, dass Fiona unserem Eindruck nach mit sechzehn Jahren magersüchtig gewesen war, und das interessierte ihn sehr.
»Wir brachten sie zum Arzt. Habt ihr Evie zum Arzt gebracht?«
»Aber wozu?«, fragte er. »Ich meine, was würdest du sagen?«
Das war eine Sache, die wir begonnen hatten, wann immer ich nach Terenure fuhr, im Verlauf der nächsten beiden Monate vielleicht zwei-, dreimal: Ich schickte ihm eine SMS, und er rief an. Ich nickte ein weiteres Mal auf dem Sofa ein, und als ich erwachte, redeten wir miteinander. Beim dritten Mal (im Grunde war es ein bisschen so, als würde man wieder mit dem Rauchen anfangen) rief ich ihn an, sobald ich zur Tür hereinkam, und wir führten diese träumerischen, mäandernden Gespräche, in deren Verlauf er mich durch dies und jenes zu seiner beschwerlichen Tochter führte, während ich mich in den Zimmern meiner Mutter umherbewegte und die Gegenstände berührte, die sie hinterlassen hatte. Und ich weiß nicht, ob Evie an jenem Tag – vielleicht war es der Tag des dritten Anrufs – der Grund oder der Vorwand dafür war, dass er sagte:
»Wo bist du? Bist du jetzt dort? Ich bin am anderen Ende der Straße.«
Was dazu führte, dass wir uns liebten, nicht in meinem alten Zimmer, sondern im Zimmer daneben. Ich öffnete die Haustür, und da stand er mit seinen hellen grauen Augen vor einem aufgewühlten grauen Himmel. Ich ließ ihn ein.
»Komisch«, sagte er.
»Was?«
»Ich dachte, es wäre größer.«
»Es ist ziemlich groß«, sagte ich.
Wir gingen nach oben.
»Klar«, sagte er. »Ich meine, diese Art Haus ist sehr begehrt.«
Er warf einen Blick in die Kinderzimmer, besichtigte das Elternschlafzimmer, das Gästezimmer, das Badezimmer.
»Etwas über zwei?«, fragte er.
Und dann nahm er mich in den Arm, denn ich zitterte. An der Tür zum Elternschlafzimmer wehrte ich ihn ab, ebenso an der zu meinem Kinderzimmer. Wir gingen zu dem Zimmer, das den geringsten Widerstand bot. Glaube ich jedenfalls. Ich glaube, wir fielen durch die Tür, die sich richtig anfühlte.
Und wurden natürlich erwischt.
Seán war mit einigen Dokumenten in der Hand ins Haus gekommen und hatte sie auf dem Regal in der Diele liegen lassen, wo gewöhnlich die Post abgelegt wird, und ein paar Tage darauf entdeckte Fiona dort zwischen den Briefen ein paar aufgerissene Umschläge, die an ihn adressiert waren; einer davon enthielt – wie ihr nicht entging – einen Scheck über vierhundertfünfzig Euro. Sie legte die Umschläge auf den Beifahrersitz und fuhr sie zu ihrem rechtmäßigen Zuhause, und als sie eben in seine Einfahrt biegen und sie an seiner Tür überreichen wollte, erkannte sie, dass sie dazu nicht in der Lage war. Sie erwog, die Umschläge durch den Briefschlitz
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