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Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bass jefferson
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»Aber dieser neue DNA-Beweis wirft ein völlig neues Licht auf den Fall«, argumentierte ich, »und niemand weiß es. Und niemand weiß, dass wir es wissen; das wissen nur wir.«
    »Deine Argumentationskünste sind wirklich einmalig«, sagte er kopfschüttelnd. »Ganz zu schweigen von deinem zungenbrecherischen Satzbau.«
    »Satzbau, pah. Verstehst du das nicht? Der alte Kitchings schwängert sie, und dann bringt er sie um, um die Schwangerschaft zu vertuschen. Vielleicht hat sie ihm nicht mal erzählt, dass sie schwanger war – wahrscheinlich hatte sie zu viel Angst. Aber irgendwann sieht man es, und er weiß, dass der Skandal, wenn er bekannt wird, ihm das Genick bricht. Schwer für einen Priester, seine Schäfchen zusammenzuhalten, wenn die wissen, dass er Ehebruch, Inzest und womöglich auch noch Vergewaltigung auf dem Gewissen hat.«
    Art hob die Hand wie ein Student, der eine Frage stellen möchte. »Ich gebe ja zu, dass er sich tatsächlich mit einem Riesensatz an die Spitze der Verdächtigenliste katapultiert hat. Aber deinem nächsten Schritt – dass wir zwei das perfekte Paar sind, um den Mörder zu stellen –, dem kann ich nicht ganz folgen.«
    Ich wies ihn darauf hin, dass die Leute in Cooke County es so an sich hatten, plötzlich zu verschwinden und zu sterben. Das, erwiderte er, war genau der Grund, warum er der Meinung sei, wir sollten nicht dort hinfahren, schließlich seien wir schon einmal fast verschwunden und gestorben.
    »Aber was ist, wenn Kitchings Senior – oder sonst jemand da oben – irgendwie Wind von den DNA-Ergebnissen bekommt? Was ist, wenn er verschwindet, wegläuft oder plötzlich tot ist? Dann erfahren wir die Wahrheit nie.«
    »Und du denkst, nach all den Jahren wird er uns ein Geständnis ablegen, nur weil wir zwei so tolle Kerle sind?«
    »Wir tauchen da auf und konfrontieren ihn damit, wenn er gerade an nichts Böses denkt. Dann wird er sehr viel eher gestehen oder wenigstens etwas verraten als wenn nicht.«
    »Wenn was nicht? Wenn wir nicht dort auftauchten oder wenn er gerade an etwas Böses denkt?«
    »Entweder oder. Beides. Der Sheriff und Williams sind im Augenblick aus dem Weg, also ist die Luft rein. Und wenn wir die DNA-Bombe platzen lassen, können wir den Reverend vielleicht so schockieren, dass er irgendetwas zugibt.« Art wandte den Kopf ab und schaute aus dem Fenster. Ich wusste, dass meine Argumentation schwach war. Ich wusste, dass es nicht Logik war, was mich heute zwang, ins Cooke County zurückzukehren. Ich langte in meine Hemdtasche, holte das Foto von Leena heraus, das Jim O’Conner mir gegeben hatte, und reichte es Art. »In ihrem Gesicht ist etwas, was mich an Kathleen vor dreißig Jahren erinnert. Kathleen, als sie jung war. Nicht nur das – es erinnert mich an Kathleen, als sie schwanger war. Sie hatte ein bisschen Gewicht zugelegt, und ihr Gesicht war etwas voller geworden …« Ich schwieg, denn ich hörte mich an wie ein kleines Kind.
    »Dann geht es hier irgendwie jetzt um Kathleen?«
    »Nein. Na ja, vielleicht. Nicht unbedingt um sie. Mehr um mich, also darum, dass ich versuche, die Sache mit ihr irgendwie in Ordnung zu bringen.«
    »Komm schon, Bill, wann verzeihst du dir endlich? Es war nicht deine Schuld, dass Kathleen gestorben ist.«
    »Das kannst du mir erzählen, bis du schwarz wirst – ich kann’s mir auch selbst erzählen, bis ich schwarz werde –, aber das hat keinen Einfluss darauf, was ich empfinde. Vielleicht hilft das hier.«
    »Und wenn nicht?«
    »Ich weiß es nicht, Art. Von der Brücke springe ich, wenn ich draufstehe.«
    Er seufzte. »Na, dann vergiss aber nicht, sie in Brand zu setzen, bevor du über das Geländer kletterst.« Er schob das Foto von Leena in seine Hemdtasche. »Na gut. Lass uns nur beten, dass wir den guten Reverend davon überzeugen können, dass eine Beichte gut fürs Seelenheil ist.«
    Ich hatte vor zwei Jahren so ziemlich aufgehört zu beten, doch jetzt war ein guter Zeitpunkt, es noch einmal zu versuchen.

39
    Die Steinmauern der Cave Springs Primitive Baptist Church und der gesprengte Tunnel jagten mir einen Schauder der Erinnerung über den Rücken, und ich erwischte mich dabei, wie ich überlegte, ob es wirklich so klug war, was wir da vorhatten. Ich wollte das gerade sagen, als Art mir auf die Schulter tippte und auf das Haus neben der Kirche zeigte. Auf dem verwitterten abgeflachten Schaukelstuhl saß völlig reglos eine siebzigjährige Ausführung von Tom Kitchings. Das Haar des Mannes war

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